Als der Tag begann
Lichtverhältnissen und rauem Teppich, in die man gezerrt und eingesperrt wurde, wenn man sich danebenbenommen hatte.
Es gab ein schmales Fenster, wie alle anderen vergittert, durch das ein gespenstisch anmutendes Licht einfiel. Das Fenster ging zu der Ziegelwand des Nachbargebäudes hinaus, und nur wenn ich
mich verrenkte, konnte ich ein Stückchen Himmel sehen. In der Kammer roch es nach getrocknetem Schweiß und Urin, und ich atmete flach ein und aus, während ich wütend, weinend, in dieser erbärmlichen Kammer hockte. »Ich hasse dieses Haus«, sagte ich laut zu mir selbst. »Ich hasse es.«
Nach Reinas Bleiche-Streich wurde ich von ihr und Sasha weg in ein Zimmer mit nur einem Mädchen verlegt. Sie hieß Talesha und war fünfzehn Jahre alt, zwei Jahre älter als ich. Sie hatte kleine, nach unten stehende Augen, kaffeefarbene Haut und einen sechs Monate alten Sohn. Aufgrund ihres Alters war Tantchen der Meinung, dass ich mir bei ihr »keine dieser Frechheiten erlauben würde«.
Als ich mit einem Müllsack, in dem sich meine Sachen befanden, an dem neuen Zimmer ankam, hielt mir Talesha lächelnd die Tür auf. Lange, schmale Zöpfchen fielen kaskadenartig über ihre Schultern herab. Sie hatte runde Hüften und zentimeterlange, lila schimmernde Fingernägel.
In der Sekunde, in der die Tür hinter uns zufiel, sprang sie auf ihr Bett und rief: »Reina, die ist echt scheiße! Hey, ich weiß, dass du das mit der Bleiche nicht gedeichselt hast … Als einziges weißes Mädchen hier müsstest du ja total verrückt sein, so was durchzuziehen. Aber du wirkst nicht verrückt.« Ihr Blick wurde weich.
»Ich war das nicht mit Sasha«, sagte ich.
»Also, warum bist du hier?«, fragte sie mich. »Wo ist deine Familie?«
Mir war nicht klar, wie sehr ich ihr darauf antworten wollte, aber ich wollte nicht über Daddy reden oder sogar nur an ihn denken, wie er wegen mir allein in der University Avenue hauste. Also zuckte ich nur mit den Achseln und packte meine Sachen aus.
Talesha war über ein Jahr in einer Pflegefamilie gewesen. Dies hier war ihr zweiter Aufenthalt in St. Anne’s, und sie wusste über jeden hier ganz genau Bescheid. Durch das Zusammenleben mit
ihr wurde ich in die vorherigen Lebensumstände vieler der Mädchen eingeweiht, auch in die von Tantchen. Wie sich herausstellte, war Reinas Mutter eine Cracksüchtige, die völlig abgebrannt in der Wohnung ihres Dealers aufgetaucht war und Reina gegen ein paar Brocken eingetauscht hatte.
»Ihre Mutter meinte so was wie: ›Reina kann für dich putzen.‹ Ja, genau, soll sie doch die Wohnung in Ordnung bringen, das ist doch was wert! Aber ich sag dir was, Reinas Mutter kam nie mehr zurück, sie schnappte sich das Crack und ab dafür!«
Als ich Reinas Geschichte hörte, war ich froh, Ma zu haben. So etwas würde sie niemals tun.
Talesha erzählte weiter. »Und noch was! Wusstest du, dass Tantchen dicke lange Dreadlocks hatte, aber dann wurde sie krank, und sämtliche Haare fielen ihr aus? Sie hat sie in eine riesige Plastiktüte gepackt und bewahrt sie bis heute hinter dem Sofa in ihrem Büro auf.«
»Nein, wirklich?«, fragte ich.
Ich weigerte mich, das zu glauben, bis ich ein paar Monate später tatsächlich Zeuge davon wurde, wie Tantchen sie stolz ein paar Mitarbeitern zeigte. Sie zog die langen, zerfledderten Dinger aus dieser Plastiktüte — wie Spielzeugschlangen aus einer Zauberschachtel – und verkündete: »In meiner Familie gibt es Indianer. Mein Vater ist ein Cherokee, deshalb kann ich sie wieder wachsen lassen, wenn ich will. Und sie stehen mir auch noch!«
Aber mehr als über alles andere erzählte Talesha von ihrem kleinen Sohn Malik. Wir lagen oft noch stundenlang nach dem »Licht aus!«-Befehl wach, während ich gebannt ihren Berichten lauschte, wie es war, einen Freund zu haben und schwanger zu werden. »Es fühlt sich gut an. Wenn man es dir ansieht, stehen die Leute von den Plätzen auf und behandeln dich mit Respekt. Und wenn du ein Baby hast, gibt es immer jemanden, der dich liebt, und auch jemanden, den du lieb haben kannst.«
Ich lag viele Nächte wach und hörte, wie Talesha leise weinte und mir sagte, wie sehr sie ihren Sohn vermisse. Und wie sehr sie
ihre Mutter dafür hasse, dass sie sie gezwungen habe, ins Heim zu gehen, und das Baby für sich behalten habe. Manchmal blieben wir auch auf, und sie erzählte mir dann, wie schön ihr Leben werden würde, wenn sie wieder entlassen und Malik zurückbekommen würde. Sie würden sich
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