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Als ich lernte zu fliegen

Als ich lernte zu fliegen

Titel: Als ich lernte zu fliegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roopa Farooki
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mitzählt.« Lila interessiert sich erheblich mehr für ihr Frühstück als für Henry, dem sie nicht einmal einen flüchtigen Blick schenkt.
    »Ich habe wochenlang versucht, Sie zu finden«, beginnt er. »Ich wollte nicht so gemein zu Ihnen sein; als Sie weinend hinausgelaufen sind, bin ich mir vorgekommen wie ein Riesen-Idiot. Normalerweise benehme ich mich nicht so.«
    »Machen Sie sich keinen Kopf«, sagt Lila wegwerfend. »Da habe ich mir schon Schlimmeres anhören müssen. Und ich habe ganz andere Sorgen, als mich darüber aufzuregen, was so ein komischer kleiner Fernsehtyp von mir denkt, nichts für ungut!« Sie wischt die glibberigen Eireste mit ihrem Toast auf; mit vollem Bauch kann sie plötzlich großzügig sein und gibt zu: »W ahrscheinlich hatten Sie ja recht. Manchmal bin ich nicht sehr nett; ich kann ein richtiges Biest sein.«
    Henry beugt sich vor. »Ich glaube nicht, dass ich recht hatte«, sagt er ernst. »W enn ich denke, dass ich recht hätte, würde ich mir nicht die Mühe machen, mich bei Ihnen zu entschuldigen. Nein, ich war bewusst verletzend, weil ich Ihre Worte persönlich genommen habe.«
    »W as haben Sie persönlich genommen?«, fragt Lila. »Das, was ich über Ihren wertvollen Dokumentarfilm gesagt habe?«
    »Nein, was Sie darüber gesagt haben, wie es ist, mit Yasmin geschlagen zu sein. Schmerzhaft ehrlich haben Sie beschrieben, wie es ist, mit einer solchen Schwester aufzuwachsen, sie das ganze Leben lang am Hals zu haben, beiseitegeschoben zu werden, weil ihre Bedürfnisse immer an erster Stelle kommen. Und ich fürchte, das habe ich nicht sehr gern gehört. Solche Offenheit bin ich nicht gewöhnt.«
    »Aber warum sollten Sie es persönlich nehmen?«, fragt Lila, obwohl sie sich die Antwort schon fast denken kann, bevor sie die Frage ganz gestellt hat.
    »W eil ich in meiner Familie die Yasmin bin«, antwortet Henry.
     

     
    Lila bringt es nicht über sich, Henry ins Gesicht zu sehen, und beendet ihr Frühstück mit viel weniger Geräuschen und Getue als am Anfang. Sie nippt an ihrem Tee und sagt schließlich: »Die Entschuldigung ist angenommen. Danke, dass Sie sich die Mühe gemacht haben, ich kenne nicht viele Leute, die das getan hätten. Und machen Sie sich keine Gedanken wegen des Frühstücks, ich bezahle meinen Anteil.«
    »Das kommt überhaupt nicht infrage«, entgegnet Henry höflich, aber bestimmt.
    »Seien Sie nicht albern …«, setzt Lila an, aber Henry fällt ihr ins Wort.
    »W irklich, das ist Ehrensache«, beharrt er. »Ich habe Sie eingeladen, Sie erinnern sich.«
    »Du meine Güte, sind Sie wirklich aus Fleisch und Blut?«, fragt Lila amüsiert. »Sie sprechen in ungewöhnlich vollständigen Sätzen und machen ein ausgedehntes Frühstück zur Ehrensache. Sind Sie vielleicht einem Roman von vor hundert Jahren entsprungen, P. G . Wodehouse, zum Beispiel?«
    »Meine Familie macht sich auch die ganze Zeit über mich lustig.« Plötzlich klingt Henry viel weniger förmlich. »Ich bin auf eine andere Schule gegangen als meine Geschwister.« Einen Moment lang sieht es aus, als wolle er noch mehr sagen, aber dann lehnt er sich zurück und fragt wieder im gewohnten Tonfall: »W as sind denn das für Sorgen, die Sie erwähnt haben? Kann ich irgendwie helfen?«
    »W arum sollten Sie? Sie sind ja nicht dafür verantwortlich«, sagt Lila. »Es ist nicht Ihre Schuld, dass ich meinen Freund abserviert und meinen Job verloren habe und jetzt auch noch meine Heizung zusammengebrochen ist, so dass ich jetzt nicht einmal eine warme Ecke habe, wo ich mich selbst bemitleiden kann.«
    »Sie haben Ihren Job nicht verloren; Ihr Arbeitgeber sagte, Sie hätten gekündigt«, erinnert Henry sie.
    »Richtig, das habe ich getan«, antwortet Lila und bedeutet dem beleibten, onkelhaften Café-Besitzer, er solle ihr noch einen Tee bringen. »Aber ich dachte, Ihr Medienleute kümmert Euch nicht viel um Fakten, wenn Ihr rührselige Storys über schwere Schicksale ausbrütet …«
    Ohne auf ihr Gestichel einzugehen, fragt Henry: »W arum haben Sie gekündigt? War Ihnen dort zu langweilig?«
    »Das kann man sagen. Das Langweiligste an dem Job war, meinen Boss zu bumsen«, sagt Lila und bekommt sofort ein schlechtes Gewissen, als Henry seinen restlichen Tee verschüttet und sich von oben bis unten bekleckert.
    Ihr Tee wird gebracht, und sie belohnt den Wirt mit einem strahlenden Lächeln; er sieht sie mit seinem breiten, freundlichen Gesicht an und fragt anteilnehmend: »Bist du denn immer noch im

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