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Als ich lernte zu fliegen

Als ich lernte zu fliegen

Titel: Als ich lernte zu fliegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roopa Farooki
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unter ihrer Decke hoch und sieht, in Dufflecoat und Schal vermummt, den blinden Recherchetypen von Yasmins Dokumentarfilm, Henry Dingens; er hebt seinen Teleskopstock in der unmissverständlichen Absicht, die Scheibe einzuschlagen. Hastig reißt Lila die Tür auf und schubst ihn grob zurück. »W as zum Teufel soll das?«, fragt sie. »Sie hätten beinahe das Fenster zertrümmert!«
    »Alles in Ordnung?«, fragt Henry. Verwirrt lässt er den Stock sinken.
    »Nein, im Gegenteil! Ich versuche zu schlafen, verdammt noch mal, und da kommt so ein Vandale daher, blind wie ein Maulwurf, und versucht mein Auto zu schrotten.«
    »Schlafen? In Ihrem Auto? Bei laufendem Motor?«, fragt Henry.
    »Genau. Was haben Sie denn gedacht? Dass ich mich umbringe?« Kaum hat Lila die Frage ausgesprochen und sieht Henrys Gesichtsausdruck, bricht sie in schallendes Gelächter aus und verspürt eine Fröhlichkeit in sich wie seit Tagen nicht. »Oh Gott! Sie haben gedacht, ich bringe mich um! Auf meinem Mieterparkplatz vor meiner Wohnung! Das ist ja urkomisch …«
    »T ut mir leid«, sagt Henry. »Ich komme mir ganz schön blöd vor. Ich wollte nur helfen.«
    »Schon gut, dank Ihnen ist der Tag gerettet«, sagt Lila; sie lacht immer noch, obwohl ihr der Schädel dröhnt. »Ich bin nur hier, weil meine Heizung streikt. Haben Sie tatsächlich gedacht, ich hätte einen Schlauch auf den Auspuff gesteckt …«
    »So was in der Art«, gibt Henry zu. Etwas linkisch steht er vor dem Auto und erklärt: »Ich habe versucht, Sie anzurufen, um mich für neulich zu entschuldigen; ich habe Sie nicht erreicht, und Ihr Arbeitgeber sagte, Sie hätten gestern gekündigt. Da dachte ich, ich versuche es bei Ihnen zu Hause, ich hoffe, Sie nehmen es mir nicht übel. Ich habe einen Ihrer Nachbarn gefragt, wo Sie sind, und er hat mir Ihr Auto gezeigt. Ich hätte mir denken sollen, dass es keinen Grund zur Sorge gibt, Ihr Nachbar schien jedenfalls nicht weiter beunruhigt. Aber so viel ich sehen konnte, lagen Sie bewusstlos da.«
    »Konnten Sie mich denn sehen?«, fragt Lila interessiert.
    »Nur die Umrisse«, sagt Henry. »Also, ich bin hier, um mich zu entschuldigen …«
    »Das haben Sie schon mal gesagt. Dann gute Nacht«, fährt Lila dazwischen und macht die Tür wieder zu. Sie seufzt, als Henry wieder ans Fenster klopft.
    »W as ist denn nun schon wieder?«, fragt sie gereizt.
    »Haben Sie vielleicht Lust, sich mit mir zu unterhalten?«, fragt Henry. »Ich weiß, unsere erste Begegnung war nicht besonders erfreulich. Aber jetzt, wo ich schon mal hier bin, könnten wir doch irgendwo hingehen, wo es warm ist. Uns Tee oder Toast oder sonst etwas bestellen. Ich lade Sie ein.«
    Auf einmal hat Lila wieder Hunger; wenn sie etwas zu essen bekäme, würden sich ihre Kopfschmerzen legen, aber in ihrer eiskalten Küche herumzuwerkeln kann sie sich nicht vorstellen, wahrscheinlich haben sich sogar die Ratten schon aus dem Staub gemacht. Sie wiegt ihre unpassende Kleidung gegen ihren plötzlichen Heißhunger auf Gebratenes ab. »Na schön«, sagt sie, stellt jäh den Motor ab und rutscht unter ihrer Decke aus dem Auto hervor. »Gleich da drüben gibt’s ein billiges Café.« Sie marschiert schnell los, damit ihr nicht kalt wird, bleibt dann aber stehen und wartet leicht verlegen. »Äh, soll ich Ihren Arm nehmen, oder was?«, fragt sie.
    »Ich nehme den Ihren, wenn ich darf. Schließlich bin ich derjenige, der blind ist wie ein Maulwurf«, antwortet Henry, als er sie eingeholt hat. »Haben Sie sich die Haare gefärbt? Sie kommen mir ein bisschen heller vor.«
    Lila nickt, und dann fällt ihr ein, dass er ihr Nicken nicht sehen kann, aber da ist es für eine Antwort schon ein bisschen spät, weil sie den Zebrastreifen am Ende der Straße bereits erreicht haben.
     

     
    Im Café versteckt Lila ihre Pyjama-Beine unter der Plastiktischdecke. Sie trinkt einen riesigen Becher Tee mit zwei Stück Zucker, leicht schlürfend, weil der Tee noch zu heiß ist; dazu verschlingt sie eine Scheibe in Öl gebratenes Brot und verdrückt dann mit Heißhunger nacheinander Rühreier, Baked Beans, Kartoffelpuffer und gebratene Pilze. Henry hat für sich nur Tee und Toast bestellt, und falls er sich über ihre Tischmanieren und die Unverfrorenheit ärgert, mit der sie sein Angebot ausnutzt, lässt er sich nichts anmerken. »Sie waren wohl ziemlich hungrig«, stellt er fest.
    »Am Verhungern«, bestätigt Lila. »Gestern hatte ich kein richtiges Abendessen, wenn man Erdnüsse und Chips nicht

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