Als ich meine Eltern verließ - Roman
Anwesenheit war tröstlich gewesen, ihre Musik wie Streicheleinheiten, auch für ihn.
Papa ist außer sich. Es gibt Immobilienagenturen, die Todesanzeigen durchforsten und Angehörige anschreiben, um ihnen Geschäfte vorzuschlagen. Auch von meinem Tod müssen sie irgendwo gelesen haben, entweder in Le Monde , Ouest-France oder Le Télégramme . Normalerweise rufen sie gegen Mittag an, zur Essenszeit. Sie bieten an, beim Verkauf meiner Güter behilflich zu sein. Können sie haben: »Wie heißt noch gleich Ihre Agentur? Könnten Sie das buchstabieren: Schreibt man das mit zwei n? Mit einem s oder einem ç? Gut, vielen Dank, ich habe alles notiert.« Papa kann die Anspannung vor lauter Aufregung auf der anderen Seite der Leitung förmlich spüren, der trauernde Fisch scheint tatsächlich angebissen zu haben. Genau in dem Moment fügt er voller Schadenfreude hinzu: »Nun richten Sie bitte Folgendes Ihrem Chef aus: Niemals, ja genau, niemals, Sie haben richtig verstanden, niemals werde ich auch nur einen Fuß in Ihre Agentur von Aasgeiern setzen. Und überall werde ich herumerzählen, dass Ihre Agentur versucht hat, mit dem Tod meines Sohns Geschäfte zu machen.« Papa in antikapitalistischem Zorn.
Als neuer, junger Abonnent von Le Monde habe ich ein Formular für Kleinanzeigen auf der Geburten- und Familienseite zugeschickt bekommen. Auch dies ist für den verhinderten Großvater ein Schlag ins Gesicht. Abgesehen von den Fruchtbarkeitswünschen hofft Le Monde , mich noch lange als Kunden zu behalten. Mein Konter auf den Schnabel der Gazette ist die Tatsache, dass ich als Abonnent den absoluten Kürzerekord gebrochen habe: vierundzwanzig Stunden!
Mama und Papa finden keinen Schlaf. Sie wälzen sich von einer Seite auf die andere. Im Fernsehen nichts. In der Zeitung nichts. Und einen Roman anfangen, dazu fehlt der Mut. Papa sagt, er könne momentan keine Romane lesen. Tränen und Trauer verbieten wahrscheinlich jegliche Fiktion. Fürs Kino gilt das nicht. Mama und Papa haben sich Pas sur la bouche angesehen – von Alain Resnais, nach einer Operette von Maurice Yvain –, und erstaunlicherweise hatten sie richtig viel Spaß. Zu diesem Zeitpunkt der Trauer also Bilder ja, Schrift nein.
Ich spiele Ausdrucksping. So lautet der Name des Spiels. Die Bälle, die der Gegner dir vorlegt, sind dafür da, um dein eigenes Spiel zur Geltung zu bringen, und nicht, um dir Schwierigkeiten zu bereiten. In meiner Rolle als echter Tischtennisspieler ging es um den Kampf; wie stolz war Mama, wenn ich wie ein Irrer gekämpft habe, um den Pokal nach Châteaulin zu bringen. In meiner Rolle als Pingspieler in diesem Traum schmeichele ich ihrem eigenen Bestreben, ins Paradies zu kommen.
Papa fragt sich, wem er die Tischtennisbälle schenken soll, die ich mir in Hunderterpacks gekauft habe, selbstverständlich, um Geld zu sparen.
Die beiden im Bett. Einer links, einer rechts. Schweigend. Redend. Hand in Hand. Hin und her wälzend. Nichts zu machen. Die Tränen fließen, der Magen krampft. Mama steht auf und macht Entspannungsübungen. Das mit den Massagen ist ihr Ding. Einatmen, entspannen, dehnen, den Hals kreisen, kleine Tennisbälle unterm Ohr verkeilen, einen weichen Ballon unter den Nacken legen, einatmen, entspannen … Sie hat Papa bereits um eine Massage gebeten. Er fühlt sich gezwungen. Das spürt sie, und dann ist es aus. Du hast mich trotzdem ganz gut massiert in meiner letzten Nacht, Papa. Kannst du dir mit Mama nicht ein bisschen mehr Mühe geben?
Ich habe in jener Nacht nicht stärker daran geglaubt als jetzt. Als Masseur bin ich ungläubig. Du weißt genau, dass mich das ärgert. Ich könnte mich schwarzärgern, dass ich diese Massage verpatzt habe.
Papa massiert nicht gern. Umso mehr mag er es, massiert zu werden: vom Chiropraktiker, vom Physiotherapeuten, von Mama, Giloup, Bertrand, Patrick, die Liste seiner Hexenmeister ist ziemlich lang. Papa ist passiv gläubig.
Wegen zu spät eingereichter Arztrechnungen musste Mama bei der Sozialversicherung vorsprechen. Sie weigern sich, ihre Akte zu bearbeiten. »Ihr Stammbuch ist nicht auf dem neuesten Stand! Ihr Sohn muss aus dem Stammbuch gelöscht werden.« Beim Standesamt im Rathaus, wo sie unter Tränen hinging, hat der Beamte die Todesakte Nummer 316 eröffnet. Die Papiere sind in Ordnung, ich bin nun überall gestorben, die Erstattungen können wieder geleistet werden. Mama geht nicht noch einmal zur Sozialversicherung, sie hat so einen Hass.
Die Versicherungen schicken
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