Als könnt' ich fliegen
Bruder, oder?«
Ich nickte. »Er meinte, ich soll die Finger von Milena lassen.«
»Und warum, wenn man fragen darf?«
»Keine Ahnung.«
»Schon komisch, wie gefährlich du plötzlich lebst, seit du dich für Milena interessierst. Findest du nicht?«
»Das Thema hat sich erledigt«, erklärte ich düster. »Milena will nichts mehr von mir wissen.«
Björn sah mich fragend an.
»Sie ist überhaupt nicht krank«, sagte ich, »wie sie am Telefon behauptet hat.«
»Dann muss es einen anderen Grund geben«, erwiderte Björn. »Vielleicht droht das Bruderherz ihr auch?«
»Quatsch!«, sagte ich. »Niemals. So ein Typ ist das nicht.« Ich hörte selbst den Zweifel in meiner Stimme.
»Vielleicht steckt er ja sogar hinter dieser dämlichen Wette«, meinte Björn.
Ich begriff, dass er das in gewisser Weise hoffte. Es hätte Ilka entlastet.
Björn fischte das Handy aus meiner Tasche und hielt es mir unter die Nase. »Die Dinger können manchmal ganz nützlich sein. Zum Beispiel, um Missverständnisse zu beseitigen. Ich an deiner Stelle würde bei ihr anrufen. Und zwar möglichst schnell.«
Ich nahm das Telefon, überlegte kurz. Dann drückte ich ihre Nummer. Sofort sprang ihre Mailbox an, das Handy war ausgeschaltet. Natürlich. Was Milenas Verhalten betraf, passte alles wunderbar zusammen. Immerhin eine Unklarheit, die hiermit beseitigt war. Ich sprach nicht auf die Mailbox.
1. September, Sonntag, 17 Uhr
Wenn man ganz frühmorgens ans Meer geht und es hat gerade geregnet, dann hat man eine irrsinnig klare Aussicht. Alles da draußen erscheint einem überdeutlich. Es ist, als ob man durch blank geputztes Glas sieht. Und genau so einen Augenblick erlebe ich jetzt. Obwohl ich nicht am Meer bin und es auch nicht früher Morgen ist. Aber ich sehe alles unheimlich deutlich.
Mit Tobias und mir, das kann unmöglich gut gehen. Gut ist nur, dass ich das Handy ausgeschaltet hab. Ich will nicht mit ihm reden. Ich will mit überhaupt niemandem reden. Mit keinem Menschen.
Später im Shark bestellte ich ein Bier, das ich aus der Flasche trank. Es schmeckte weniger bitter als jenes, das ich vor ein paar Nächten mit meinem Vater getrunken hatte. Björn hatte sich trotz meiner schlechten Laune nicht abwimmeln lassen. Er saß neben mir.
»Versuch es einfach noch mal«, schlug er vor. »Vielleicht ist sie doch krank und hat vorhin nur geschlafen.« Er klang wenig überzeugend. Ich reagierte nicht, sondern nuckelte an meinem Bier.
»Hast du noch mal über die Wette nachgedacht?«, fragte Björn.
Ich fand, dass es da nichts nachzudenken gab, und sagte es.
»Aber die Platte«, meinte Björn, »die willst du doch haben, oder?«
»Ich glaube kaum«, sagte ich spöttisch, »dass Dennis sie mir schenkt. Und unter Androhung von Gewalt möchte ich sie ihm lieber nicht abnehmen.«
»Ihr sollt listig sein wie die Schlangen« , zitierte Björn mit Schauspielerqualitäten. »Steht irgendwo in der Bibel.«
»Was für eine List sollte das sein?«, fragte ich uninteressiert.
»Man könnte ja mal drüber nachdenken.«
»Ich hab keinen Bock, über irgendwelche Listen nachzudenken.«
»Dann nicht«, meinte Björn beleidigt. »Vergessen wir die blöde Scheibe.«
Endlich hatte er es kapiert. Mein Bier war leer, ich bestellte eine neue Flasche.
»Lass uns eine Runde kickern«, schlug ich vor. Ich hoffte, dass ich mich auf diese Weise vom Grübeln ablenken konnte. Die ganze Zeit über hatte ich Milenas Gesicht vor Augen. Ihr Lächeln. Ich hörte zusammenhanglos irgendwelche Sätze in meinem Kopf nachhallen, die sie irgendwann gesagt hatte. Ich forschte darin nach verborgenen Hinweisen auf das, was heute zwischen uns passiert war. Aber sosehr ich auch suchte: Ich fand nichts.
Ein paar Biere später stand plötzlich Dennis neben dem Automaten. Ich hatte ein Tor geschossen, er stellte die Anzeige weiter. Ich fand das überhaupt nicht komisch.
»Na«, fragte er, »schon klüger geworden?«
Heute war nur Hardy dabei, Marco fehlte. Vielleicht hatte er sich auch krankgemeldet. Diesmal hielt Hardy die Tasche mit der Platte in der Hand. Dabei machte er das gleiche dämliche Gesicht wie immer. Und das gleiche stinkige T-Shirt trug er auch. Dennis dagegen sah wieder mal aus wie frisch aus der Boutique. Ich roch sein Parfüm. Ich sah sein Grinsen. Ich spürte das Bier. Ich wollte ihm irgendwas Verletzendes um die Ohren schleudern. Da schaltete sich zu meiner Überraschung Björn ein.
»Wer garantiert uns nun eigentlich«, fragte er, »dass das
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