Als Musik meine Sprache wurde - Die offizielle Autobiografie (German Edition)
nicht über den Holzbarren kam oder auf den beim Waldlauf alle warten mussten, damit sie wieder in die Schulklasse gehen konnten. Zurück daheim schleuderte ich meine Joggingschuhe völlig frustriert in die Ecke und fluchte vor mich hin.
Wie in aller Welt wollte ich nur wieder fit werden? Wenn ich auf der Bühne solche Stiche bekäme, könnte ich meine bewährte Show nicht mehr machen. Andererseits musste ich – um wieder auf die Bühne zu gehen – noch ein paar Kilos wegtrainieren. Eine Mission Impossible also.
Aber eine Möglichkeit gab es noch. Ich kramte mein altes Mountainbike heraus und versuchte es mit Radfahren. Und was soll ich sagen? Es klappte wunderbar. Ich fuhr an diesem Tag meine ersten 20 Kilometer und fühlte mich herrlich. Das Wetter war schön, der Himmel blau und ich schwitzte wie lange nicht mehr. Und beim Fahren spürte ich, dass mir absolut nichts mehr wehtat.
In den folgenden Wochen saß ich also jeden zweiten Tag auf dem Sattel und die Kilos purzelten. Nach knapp drei Monaten hatte ich acht Kilo abgenommen und meine Bühnenhose passte wieder. Dem ersten Konzert stand somit doch nichts mehr im Wege.
Unheiliger Zuwachs
Ich konnte nicht ewig in meinem Schreibexil verharren, so sehr mir meine Produktionsabgeschiedenheit auch gefiel. Die ersten Livetermine für 2009 standen an und ich musste mich so langsam mit dem Gedanken anfreunden, wieder unter Menschen zu gehen. Zudem hatte Markus den Vorschlag gemacht, einen Schlagzeuger für die bevorstehende Tour in Betracht zu ziehen. Er war der Ansicht, dass ein Liveschlagzeug unserer Performance guttun würde.
Ich mochte Liveauftritte wirklich sehr gerne und sie brachten mir die schönsten Momente meines Lebens. Allerdings hatte ich es immer schon schwer gefunden, mich gedanklich darauf einzulassen, während ich an einem neuen Album arbeitete, da ich in diesen Phasen eigentlich nichts mit anderen Dingen zu tun haben wollte. Aber ich kam nicht umhin.
Ich war schon ziemlich weit in meinem Schreibprozess zu dem neuen Album und fand den Gedanken, mich mit ein paar anderen Fragen zu beschäftigen, dann doch ganz erfrischend. Wir legten eine Setlist für die ersten Liveauftritte fest und jeder Musiker sollte zunächst einmal für sich alleine spielen und nach einigen Tagen und Wochen würden dann die gemeinsamen Proben losgehen.
Auch der Drummer, so der Plan, sollte sich an die Songs herantasten, und ich würde ihn dann bei der ersten gemeinsamen Probe kennenlernen. Unser Gitarrist Licky kannte ihn schon seit einigen Jahren und war fest davon überzeugt, dass er gut zu Unheilig passen würde.
Ich selbst war selbstverständlich gespannt, was es mit diesem Schlagzeuger auf sich hatte und wie unsere Songs mit Live-Drums klingen würden.
Es vergingen noch ein paar Wochen, bis ich schließlich den neuen Drummer, der »Potti« genannt wurde, in unserem Proberaum kennenlernte. Er war mir direkt sympathisch und machte einen äußerst ruhigen und ausgeglichenen Eindruck.
Er hatte in den zurückliegenden Wochen Tag und Nacht geprobt, wie ich mir von den anderen hatte sagen lassen – und das gefiel mir schon mal sehr gut. Als dann aber die gemeinsame Probe startete, war ich nach wenigen Momenten begeistert. Wie Potti sein Schlagzeug in unsere Songs einbrachte, war schlichtweg großartig. Die Lieder begannen noch mehr zu leben und das Schlagzeug tat ihnen richtig gut. Die Sache war somit schnell entschieden. Unheilig hatte Zuwachs bekommen und ich freute mich nun riesig auf das Zita-Rock-Festival, bei dem unser erster gemeinsamer Auftritt stattfinden sollte.
Ein ganz besonderer Tag
Unseren ersten Auftritt im Jahr 2009 werde ich nie vergessen. Ich denke, ich war selten zuvor aufgeregter. An diesem Tag sollten wir nicht nur zum ersten Mal mit Schlagzeuger auftreten – Unheilig war auch erstmalig als Headliner bei einem großen Festival angekündigt.
Das Kuriose daran war, dass wir an diesem Abend nach eben jener Band spielen sollten, die eigentlich dafür verantwortlich war, dass ich überhaupt begonnen hatte, deutsche Texte zu schreiben. Ich hatte sie damals auf Viva mit dem Song »Das weiße Licht« gesehen und danach »Sage Ja!« geschrieben, weil ich durch sie inspiriert war – und nun spielte ich nach dieser Band! Dazu fiel mir ein einziges Wort ein: Wahnsinn!
In diesen Momenten konnte ich zum ersten Mal erkennen, wie weit ich den Weg mit Unheilig nun schon gegangen war und wie lange es auch gedauert hatte, bis ich diesen Punkt erreichen
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