Als Musik meine Sprache wurde - Die offizielle Autobiografie (German Edition)
konnte. Diese Erkenntnis machte mich jedoch nicht ruhiger – im Gegenteil. Ich werde niemals vergessen, mit wie viel Respekt ich die Fahrt zu diesem Festival angetreten habe.
Die größte Angst hatte ich vor mir selber. Ich hatte schlicht Angst davor, zu versagen und den Ansprüchen eines Headliners nicht gerecht zu werden. Ob es nun daran lag, wer da vor mir spielte, oder an der Tatsache, dass wir mit einem Schlagzeuger auftreten wollten und deshalb eine Menge schiefgehen konnte – vermutlich war es einfach die Urangst, die immer an meiner Seite mit auf die Bühne ging. Die Angst davor, dass der Rektor meiner Schule vielleicht doch recht hatte und ich möglicherweise nicht gut genug wäre, um in der nun anstehenden Liga Musik zu machen.
Mir brummte der Schädel und ich muss Markus wohl eine Million Mal gefragt haben, ob das auch alles wirklich gut werden würde. Er versuchte immer wieder, mich zu beruhigen, und sagte mir, ich sollte Vertrauen in mich setzen und endlich anfangen, an mich zu glauben.
An diesem Tag sollte sich zeigen, ob ich die Stärke hätte, alle Fragen und Ängste auszuschalten und einen überzeugenden und souveränen Auftritt abzuliefern. Irgendwann stand wenigstens die angekündigte Autogrammstunde an und ich war froh darüber, dass ich nun endlich etwas machen konnte, anstatt nur sinnlos umherzuwandeln und dabei neben mir zu stehen.
Als ich zu dem Stand kam, war ich sprachlos. Die Schlange der Fans, die auf ein Autogramm zu warten schienen, war nahezu endlos. Ich genoss es, nach der langen Zeit im Studio wieder unter Menschen sein zu können, und nahm mir – trotz dieser unglaublichen Menschenmassen – wie früher für jeden Einzelnen Zeit. Es war einer dieser unglaublich schönen Sommertage und die Atmosphäre war einzigartig.
Nach mehr als vier Stunden merkte ich dann allerdings, dass ich ziemlich platt war und Konzentrationsprobleme bekam. Ich musste die Autogrammstunde – oder -stunden! – abbrechen und hoffte inständig, dass niemand deswegen sauer sein würde.
Auf dem Weg in den Backstage-Bereich hörte ich allerdings, dass einige Fans ziemlich erbost waren. Die Beschimpfungen gingen deutlich unter die Gürtellinie, was mich ziemlich schockte, da ich doch tatsächlich vier Stunden lang versucht hatte, möglichst allen Wünschen meiner Fans nachzukommen.
Unter den wütenden Fans hatte ich auch einige bekannte Gesichter erkennen können, die ich von anderen Konzerten her kannte. Ich konnte nicht verstehen, warum diese Menschen nicht erkennen wollten, dass ich nach vier Stunden am Autogrammstand einfach fertig war und zudem umgehend auf die Bühne musste, um mein Konzert zu spielen.
Aber ich hatte nicht mehr viel Zeit, mir darüber den Kopf zu zerbrechen, denn schon sehr bald war der Moment gekommen, in dem Unheilig als Hauptact die Bühne betreten musste. Ein kurzer Gedanke ging noch einmal an den Rektor und seine Prophezeiungen und …
Und … wunderbar! Die Stimmung war unglaublich intensiv, Potti meisterte seinen ersten Auftritt mit Unheilig hervorragend und unsere Musik schien der eines Headliners wirklich würdig zu sein. Als ich nach dem Auftritt von der Bühne wieder in die Umkleide kam, war ich eine Zeit lang alleine und ließ das Erlebte noch einmal an mir vorbeiziehen.
Ich weiß noch ganz genau, wie ich damals dachte, dass ich vielleicht doch dazu gemacht war, auch als Hauptact auf einer Bühne zu stehen. Ein Schritt in meiner Karriere, der nicht zu erwarten war. Der schüchterne, stille Schuljunge, dem kaum einer etwas zugetraut hatte, stand als Headliner auf einer Festivalbühne – eine Entwicklung, die ich erst einmal für mich selbst verarbeiten – und verdauen musste. Ich nahm mir einen dieser seltenen Momente voller Stille und Ruhe, in dem man im Grunde ganz alleine mit sich selbst war und einem viel bewusst werden konnte.
Die Band, die dafür verantwortlich gewesen war, dass ich überhaupt deutsche Lieder schrieb, hatte ich indes kaum gesehen. Sie rannten lediglich ein paarmal an mir vorbei. Ihr Sänger gab mir kurz die Hand und wir sagten uns Hallo. Ich hatte noch kurz überlegt, ob ich ihm erzählen sollte, was ihr Song »Das weiße Licht« in mir ausgelöst hatte, aber ich ließ es dann doch sein. Warum, weiß ich bis heute nicht.
Auf dem Weg nach Hause musste ich noch einmal an die Autogrammstunde denken und ich spürte, dass ich wohl an einem Punkt angekommen war, an dem ich leider nicht mehr jeden einzelnen Fan-Wunsch befriedigen konnte. Es
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