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Als schliefe sie

Als schliefe sie

Titel: Als schliefe sie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elias Khoury
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gehen.«
    »Aber du lebst doch mehr oder weniger schon im Kloster. Ich verstehe nicht, was du dort die ganze Zeit tust. Wie dem auch sei…«
    Milia schwieg abrupt.
    »Wie dem auch sei«, murmelte sie kaum hörbar in sich hinein. Was heißt das schon? Nichts. Rein gar nichts heißt das. Mutter und ich reden aneinander vorbei. Es ist, als würden wir gar nicht erst miteinander sprechen. Ich habe mir ihre Geschichte von dem Arzt angehört. Wie dem auch sei, habe ich gedacht, ohne weiter darauf einzugehen. So ist es eben im Leben. Man muss Dinge stehen lassen können und so tun, als hätte man verstanden, obwohl das nicht der Fall ist. Was soll man noch reden? Wie soll ich glauben, was ich höre?
    »Wie soll ich glauben?«, wiederholte sie laut.
    Unwillkürlich drehte sich die Mutter zu ihr.
    »Was hast du gesagt?«, fragte sie.
    »Nichts, Mutter. Wie dem auch sei.«
    Wann hat diese Unterhaltung stattgefunden?
    Nach dem Familienverhör? Als Saada sich zu Milia aufs Sofa setzte und von den beiden Ärzten sprach? Oder nachdem Milia die erschütternde Nachricht erfahren hatte, dass Nadschîb eine andere Frau heiraten würde, und am Boden zerstört war?
    »So ist es besser. Ich habe es gewusst. Eines jedenfalls steht fest. Hätte er mich nicht verlassen, dann hätte ich mich von ihm getrennt«, sagte sie und sank zurück in den Schlaf.
    Schnell rief sie sich jenen einen Traum zurück. Denn sie wollte unbedingt die Vögel im Garten sterben sehen.
    Der Geruch der beiden Ärzte hing ihr in der Nase. Er war ihr bis in diese ferne Stadt gefolgt. Sie schloss die Augen und sah. Ihre Mutter sitzt neben ihr und erzählt die Geschichte mit gedämpfter Stimme. Saada ist gelb wie die zugezogenen Vorhänge an den Fenstern. Die Geschichte setzt sich aus vielen Bildern zusammen, die ineinander verschwimmen. Milia öffnete die Augen, setzte sich auf. Mansûr war auf dem Balkon. Leichte Übelkeit stieg in ihr auf. Sie wollte das Gesicht des Mannes nicht sehen, der ihr Bein massiert und schweißtropfend hechelt, lauter und lauter.
    Ihr Bein sei, so die Geschichte, durch die schwarz behaarten Hände geglitten. Das Öl sei klar wie Wasser gewesen. Und die Schweißtropfen auf Stirn, Gesicht und Hals des Arztes hätten einen eigenartigen Geruch verströmt. Indessen sei die Hand des Mannes hinter ihr von ihrem Nacken zu den Wangen gewandert.
    Hatte sich das tatsächlich so abgespielt? Oder beruhten die Bilder in Milias Gedächtnis vielmehr auf den Erzählungen der Mutter? Was hatte Saada erzählt? Stimmte es, dass die zwei Brüder eine eheähnliche Beziehung mit ein und derselben Frau führten? Waren die beiden verhaftet worden, weil sie ihren Patientinnen Betäubungsmittel einflößten und sie dann beschliefen? Ist das möglich?
    Milia hatte nur diffuse Erinnerungen an die Sache. Die beiden Männer lebten, wie es hieß, unter einem Dach mit jener Frau. Der kleine Schmächtige, geistig etwas unterbelichtet, soll kein Arzt gewesen sein, sondern seinem Bruder lediglich assistiert haben. Der große Breitschultrige dagegen sei ausgebildeter Mediziner gewesen. An der Saint-Joseph-Universität habe er studiert und sich auf Orthopädie spezialisiert. Allerdings habe er sich von den Methoden der westlichen Medizin, die an der Universität gelehrt wurden, ab- und der traditionellen Medizin zugewandt. Er behandelte ausschließlich mit Olivenöl und diversen anderen Ölen, die er aus wilden Pflanzen und Kräutern gewann. Gips lehnte er prinzipiell ab. Denn Gips zersetze, so seine Überzeugung, die Haut. Brüche therapierte er stattdessen manuell, mit Öl und festen Bandagen. Er war der bekannteste Orthopäde in Beirut. Das zumindest glaubte Schwester Mîlâna. An seinem Junggesellendasein und seiner Beziehung zur Ehefrau seines Bruders nahm keiner Anstoß bis zu dem Tag, an dem die beiden Brüder verhaftet wurden, infolge des Vorfalls mit Madame Marta, der Ehefrau von Khawâdscha 11 Nasîh Schâmât.
    Madame Marta habe, so erzählte man sich, die Praxis mit einer gebrochenen Schulter aufgesucht. Dort seien ihr höchst merkwürdige Verhaltensweisen aufgefallen. Außerdem habe der Blütentee, den die Frau des Arztes servierte, seltsam geschmeckt. Madame Marta sei misstrauisch geworden und habe die heiße Flüssigkeit in den Blumentopf geschüttet. In dem reichlich engen Behandlungszimmer habe ein durchdringender Geruch geherrscht. Sie habe auf dem Behandlungsstuhl Platz genommen und die Augen zufallen lassen, kaum, dass sich die beiden Männer an ihr zu

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