Als schliefe sie
Erben des Khawâdscha Aftimus hätten das Haus zum Verkauf angeboten, und am Ende sei es an Salîm Schâhîn übergegangen, der in bar bezahlte.
Ein Jahr nach dem Einzug in das neue Haus merkte Hasîba, dass sie hintergangen worden war. Aber ihr blieb, nachdem »der elende Hund und Hundesohn ihr Herz verbrannt hatte«, nichts als ins eigene Geschrei Petroleum zu mischen, um auch ihren Leib zu verbrennen. Danach gab sie ihr Schicksal in Gottes Hände und entwickelte neben der Schwäche für einsame nächtliche Spaziergänge eine Schwäche für Katzen. So wurde der Hausgarten zu einer Herberge für die obdachlosen Katzen Beiruts. Aus diesen erwählte sie sich ihr Lieblingstier, dem sie Zutritt zum Haus gewährte. Und dieser Kater war, so verlangte sie von ihrem Sohn und ihrem Mann, wie ein Familienmitglied zu behandeln.
Schmerzen erfassten Milias Unterleib. Ihr war zum Schreien zumute. Sie rief Mansûr. Zwar wusste sie, dass er nicht im Haus war, doch es gab niemanden sonst, an den sie sich hätte wenden können. Sie hörte die Stimme ihrer Großmutter, die sie nie zuvor gehört hatte. Der Kater kam. Sie sah ihren Großvater Salîm. Er steht im Garten, wirft einen Kiesel ans Fenster, um seiner ägyptischen Geliebten zu verstehen zu geben, dass er da ist. Er hockt sich unter den Eukalyptusbaum und wartet darauf, dass sie erscheint. Ihr Schatten zeigt sich hinter dem Fenster, an dem sich Jasminzweige hochranken. Milia sieht sie alle. Angst steigt in ihr auf. Nein, das war kein Traum. Der Kater, den sie als Pantoffel angezogen und dessen Miauen sie geschmerzt hat, das war der Traum. Der Rest aber waren Kreise, die den Traum umringten. Kreise aus den Erinnerungen der Toten, die Milia im Traum heimsuchten. Sie sah sich eine Geschichte an, die nicht die ihre war. Es war, als lese sie in einem Buch. Oder als öffne sich die alte Truhe, die sie von Großmutter Malika geerbt hat. Und heraus kommen anstelle von Büchern, Seiten und Buchstaben ein Mann, eine Frau und deren Sohn. In der Ferne steht die Geliebte unter dem Fenster. Sie wartet. Khawâdscha Sergius Aftimus sitzt in der Ecke, auf dem Kopf einen roten Tarbûsch und am Körper einen sorgfältig gebügelten europäischen Anzug. Er hustet.
Milia wusste, dass Mansûr nicht da war. Seit drei Monaten blieb er tagelang fort und kehrte unversehens heim, mit traurigem Gesicht.
»Wo ist die Poesie geblieben?«, fragte Milia.
Sie wusste, dass der größte Feind der Poesie der Tod ist. Dass die Poesie den Tod zu überwinden vermag, wie Mansûr behauptete, traf nicht zu. Vielmehr hat die Poesie die Aufgabe, uns den Tod näherzubringen, damit wir ihn annehmen und uns so sehr mit ihm anfreunden, dass wir am Ende glauben, die Poesie habe den Tod besiegt, obwohl sie in Wirklichkeit des Todes Kind und seine geheime Stimme ist.
Mit dem Tod von Mansûrs Bruder Amîn veränderte sich das Leben von Grund auf. Milia sah, wie aus Mansûr heraus ein anderer Mann geboren wurde. Es war unglaublich. Der Mann, den sie kannte und über den sie alles wusste, war verschwunden. Er, einst eine offen daliegende Handfläche, an der sie alles hatte ablesen können, existierte nicht mehr. Und nun, von Schmerz gemartert, hätte sie ihm gern gesagt, dass sie sich in jener Nacht im Hotel in ihn verliebt hatte. Ihn, den Mann, der in ihren Schlaf und ihr Erwachen Eingang gefunden hatte, der ihr Schweigen mit Worten und ihre Sprachlosigkeit mit Poesie füllte. Mansûr liebte das Leben. Wie sehr, das offenbarte sich in seiner Begeisterung für das Essen seiner Frau. Und zur Vervollkommnung des Genusses war für ihn täglich ein Glas Arrak vonnöten. »Gutes Essen verlangt nach Arrak. Zu so leckeren Speisen nicht ein Glas Arrak zu trinken ist schändlich!« Mansûr stürzte sich auf Milias Gemüseeintöpfe und erging sich in Lobeshymnen auf sein Leibgericht »Mutters Milch«. Die Araber hätten in ihrer Dichtung sogar Süßspeisen besungen, sagte er lachend und zitierte einen Vers von Ibn ar-Rûmi 3 über Krapfen.
»Süßes ist Gold! Hör zu:
Wie Silber tropft der Teig von seinen Fingern
verschlingt sich, o Wunder, zu Netzen aus Gold
Aber herzhafte Speisen hat keiner je besungen. Das ist sehr schade. Es gib schon großartige Gerichte. Mutters Milch mit Reis ist einfach unschlagbar!«
»So heißt das Gericht in Wirklichkeit gar nicht. Nur die Beiruter nennen es so. Ursprünglich stammt es aus Damaskus. Und dort nennt es sich Schâkirîjja«, erklärte Milia.
»Das spielt keine Rolle. Wichtig ist, dass
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