Altes Eisen - [Kriminalroman aus der Eifel]
blieben stumm. »Ich kann mich an meine Eltern nicht erinnern. Ein paar Jahre, es war Krieg, lebte ich bei meinen Großeltern in Zerkall. Dort fühlte ich mich wohl, aber irgendwie hatte ich stets das Gefühl, nicht zu Hause zu sein. Versteht ihr das? Ich nicht. Oma und Opa habe ich geliebt, aber irgendetwas war trotzdem nicht richtig. Von meinen ständigen Anfällen haben sie, glaube ich, nie etwas bemerkt. Sie starben beide noch während des Krieges, und ich war ganz allein. Eigentlich war ich immer allein. Verschiedene Heime, ein paarmal ausgebüchst, dann bin ich nach Holland abgehauen, über Rotterdam nach Übersee. Ich habe viel gesehen, auch viel gemacht, bin sogar zu Geld gekommen. Aber Wurzeln habe ich keine geschlagen. Seltsam für einen Kerl aus Zerkall, oder?«
»Irgendwie schon«, meinte Lorenz. Und dann fügte er lächelnd hinzu: »Kommissar Wollbrand fand, dass der alte Schlafwandler bei Lichte betrachtet schon ein ziemlich schräger Vogel war.«
27. Kapitel
Es war schon sehr spät an diesem Freitagabend, als Lorenz an seinem Schreibtisch saß und mit der Tastatur seines Computers kämpfte.
»Kommissar Wollbrand fand, dass der alte Schlafwandler bei Lichte betrachtet schon ein ziemlich schräger Vogel war.«
Lorenz lachte leise. Er hatte nicht vor zu schreiben, dass er während der Wanderung im Badewald völlig die Orientierung verloren hatte und vermutlich ohne die Hilfe seines schlafwandelnden Freundes weder den gesuchten Aussichtspunkt noch den Rückweg zu den Fahrrädern gefunden hätte. Stattdessen schrieb er weiter, wobei er jedes Wort leise murmelnd begleitete: »Natürlich hatte der in Ehren ergraute Ermittler an diesem Tage weder das Schlachtfeld gefunden noch nähere Hinweise auf das tödliche Geheimnis, welches Konrad von Hochstaden mit in sein kühles Grab im Kölner Dom genommen hatte. Doch nun, da der Tag zur Ruhe gekommen war und Kommissar Wollbrand keinen Schlaf finden konnte, war Zeit genug, sich der Geschichte des alten Erzbischofs und seines Grabmals zu widmen.«
Lorenz nahm die Blätter, die Rita ihm gegeben hatte, zur Hand und begann zu lesen. Kurz überlegte er, ob er genau dies nun auch Kommissar Wollbrand tun lassen sollte, war aber zu faul, um nochmals zur Tastatur zu greifen.
Er hatte das alles schon einmal gelesen, jedoch musste er sich eingestehen, dass er solche Texte anders als früher mehrmals und langsam lesen musste, um das Wesentliche zu behalten. Nun, da er die Publikation zum wiederholten Male durchging, fiel ihm das Verständnis schon einfacher, und manches hatte er ja doch behalten.
Es klopfte an der Tür. Lorenz sah erstaunt auf die Uhr. Es war kurz nach Mitternacht. Er stand auf, ging zur Tür und öffnete. Bärbel Müllenmeister lächelte ihn an und flüsterte: »Hallo Lorenz. Störe ich?«
»Komm rein.« Lorenz ließ Bärbel eintreten und schloss die Tür. »Natürlich störst du nicht.«
»Ich meine nur, weil es ja schon so spät ist.«
»Kann ich dir etwas anbieten?«, fragte Lorenz.
»Nein danke, lass mal.« Bärbel stand etwas unschlüssig da. »Eigentlich bin ich müde und möchte rasch ins Bett. Ich habe gerade noch einen kurzen Spaziergang durchs Haus gemacht, weil ich etwas nicht aus dem Kopf bekomme.«
»Und?« Lorenz setzte sich wieder und bedeutete Bärbel, es ihm gleichzutun. »Was grübelst du?«
Bärbel ging zum Fenster, beschattete das Glas mit beiden Händen, um hinaus in die Dunkelheit sehen zu können. »Wir suchen doch nach Hinweisen, die uns zu einem Mörder führen könnten.«
»Vielleicht.«
»Ich weiß ja, dass dir das großen Spaß macht, und allein deshalb ist es vermutlich eine gute Sache. Deine Enkeltochter hat dich ja außerdem ausdrücklich gebeten, ihr zu helfen.«
»Aber?«, fragte Lorenz.
Bärbel drehte sich um und sah den Alten eindringlich an. »Und was geschieht, wenn wir den Mörder gefunden haben? Hat er dann nicht auch uns gefunden? Das ist doch gefährlich!«
Lorenz erhob sich und ging ein paar Schritte auf Bärbel zu. »Hast du Angst?«
Sie lächelte. »Nein. Das ist es nicht. Ich habe keine Angst. Dennoch möchte ich nicht, dass uns etwas geschieht. Es gibt noch viel Schönes zu entdecken, und es wäre fahrlässig, sich unnötig in Gefahr zu begeben. Auch wenn wir uns nicht fürchten.«
Lorenz dachte über das nach, was Bärbel gerade gesagt hatte, und wusste nicht, ob er es wirklich verstand.
»Es tut mir leid, Bärbel, aber das macht mir ganz einfach Spaß. Es ist so – ich kann noch etwas tun.
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