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Alteuropa-Trilogie 1 - Im Jahr der Pferde

Titel: Alteuropa-Trilogie 1 - Im Jahr der Pferde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Mackey
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imaginäre Vermögen an seltenen Muscheln und Obsidian verlor – denn weder Gewinner noch Verlierer leisteten echte Spieleinsätze –, und als er einen seiner Ohrringe geben wollte, um seine Spielschulden zu bezahlen, lachten die Lezentkaner nur und schoben seine Hand weg.
    »In meinem Land«, erklärte er Marrah, »nehmen wir unsere Schulden ernst«, aber er schien durchaus damit zufrieden, daß er seinen Ohrring behalten konnte. Bald hatte er den Trick heraus, wie man die Muschelspielmarken genau in die richtigen Löcher auf dem hölzernen Spielbrett warf, und gegen Ende der Überfahrt hatte er so oft und so überragend gewonnen, daß ihm die Händler versicherten, er könne die besten Spieler in Eringah schlagen, falls er jemals so weit nach Osten kommen sollte. Sie nahmen an, er würde beeindruckt sein, wenn sie ein so fernes Land erwähnten – eines, das viele Wochenreisen jenseits von Gira lag –, aber Stavan überraschte sie, da er alles über Eringah wußte.
    Marrah fand all dies höchst unterhaltsam. Eringha kam in Sabalahs Lied vor, und nachts, wenn sie und Arang im Bug der
Baßtölpel
saßen und einander leise das Lied vorsangen, war ihr zumute, als flögen sie in Richtung Osten, geführt und beschützt von Sabalah. Manchmal bildete sie sich sogar ein, sie könnte hören, wie eine dritte Stimme in die Melodie einstimmte, und wenn sie die Augen schloß, konnte sie ihre Mutter neben sich sitzen fühlen, unsichtbar in der kühlen, windigen Dunkelheit.
     

9. KAPITEL
     
    »Wenn die Königin des Westens
    ihre Delphine ruft,
    erzittert das Meer,
    und weiße Gischt bedeckt ihre Schenkel.
     
    Gira, Insel der lauen Nächte.
    Gira, Insel der Liebe.
    Gira, wo die Mädchen tanzen
    und ihr langes schwarzes Haar schwingen.«
     
    Sabalahs Lied, Strophe 19-20
     
    Gira
     
    Itesh war die größte Stadt auf Gira und sicherlich die größte, die Marrah je gesehen hatte. Vom Meer aus hatte sie wie eine Handvoll weißer Steine gewirkt, die jemand nachlässig entlang der Ufer des Flusses Usha verstreut hatte. Ihre hundert oder mehr Häuser waren aus dem gleichen grauweißen Granit erbaut, der in den Hügeln zutage trat und der die trockenen Hochlandwälder nur zur Jagd und zum Obsidianbergbau geeignet machte, aber hier unten war die eintönige Kargheit des Steins in ein heiteres großstädtisches Chaos verwandelt worden. Es gab keine eigentlichen Straßen – die einstöckigen Häuser berührten einander, kehrten einander den Rücken zu oder blickten sich gegenseitig an, je nach Lust und Laune der Mutterfamilien, die sie erbaut hatten, wobei einige die Aussicht aufs Meer bevorzugten und andere auf den Fluß und die fruchtbare Ebene hinausblickten, wo die Olivenbäume gerade neue Blätter bekamen und grüne Schößlinge in den Weinbergen sprossen.
    Im Golf von Hessa an der nordwestlichen Spitze der Insel gelegen, war Itesh in keiner Weise geschützt: ohne Befestigungswälle und sowohl vom Land wie auch vom Meer aus verletzbar, bot es seine berühmten Tempel und heiligen Höhlen jedem Reisenden an, der eine Zuflucht brauchte, sich nach heilendem, religiösem Trost sehnte oder – wie im Fall des Schlangenfests – das Bedürfnis hatte, fünf Tage lang wild und ausgelassen zu feiern. Man konnte sich immer eines herzlichen Empfangs in Itesh sicher sein, besonders wenn man zu der Zeit kam, wenn der Frühlingsmond am Himmel stand und Hessa, die kleine, stahlblaue Grasschlange, die nur auf der Insel heimisch war, ihre alte Haut abstreifte.
    Am ersten Tag des Fests in dem Jahr, das wir als Jahr 4371 v. Chr. bezeichnen würden, war die Stadt so überfüllt mit Pilgern, auswärtigen Besuchern und Mutterclans aus den umliegenden Dörfern, das sie auseinanderzuplatzen drohte wie ein Topf voller getrockneter Kichererbsen. Es gab nur ein Fleckchen, wo Ordnung herrschte – eine stabile, rechteckige hölzerne Plattform, die wie ein gigantischer Tisch über der Menge aufragte. An einer Seite führte eine sanft ansteigende Rampe hinauf, die es leicht machte, auf die Plattform zu klettern, und einundfünfzig Wochen im Jahr war sie das geschäftliche und gesellschaftliche Zentrum der Stadt. Je nach Gelegenheit und Zweck wurde sie als Bühne oder Freilufttempel, als öffentliches Forum, Gerichtssaal, Dreschboden, als ein Markt für Waren, die im Hafen angelandet wurden, oder einfach nur als Platz genutzt, um herumzustehen und den neuesten Klatsch auszutauschen; aber während der Woche des Schlangenfests wurden hölzerne Stangen in

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