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Alteuropa-Trilogie 1 - Im Jahr der Pferde

Titel: Alteuropa-Trilogie 1 - Im Jahr der Pferde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Mackey
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abzulegen.
    »Dies ist unser Hochzeitstag«, sagte Stavan. »Im Grasmeer wären jetzt alle unsere Verwandten um uns versammelt, und wir würden ein großes Fest feiern. Du würdest einen langen weißen Schleier tragen und dein Gesicht wie eine anständige junge Frau verhüllen«, er lachte und küßte Marrah zärtlich, »und ich würde auf einem prächtigen Hengst geritten kommen und dich entführen, während du schreien und beißen und kratzen würdest ... oder vielmehr so tun würdest, als sträubtest du dich. Und anschließend würden die Frauen tanzen, und die Männer würden bis zum Morgengrauen trinken, während wir Liebe machten in einem festlichen weißen Zelt, das mit den Clanzeichen meines Vaters geschmückt wäre.«
    Wie gewöhnlich, wenn er von der Lebensweise seines Volkes erzählte, war Marrah verwirrt. »Welchen Sinn hätte es, so zu tun, als würdest du mich entführen?« fragte sie verständnislos. »Es klingt unerfreulich und ist doch sicherlich unnötig, und dieser lange Schleier würde mich nur behindern. Ich würde lieber ein Gelöbnis ablegen, so wie es bei meinen Leuten üblich ist, allein mit dir, wo uns nur die Göttin hören kann.«
    Stavan konnte ihr nicht erklären, warum bei seinem Volk eben jene Bräuche herrschten. Während er sie feierlich auf die Stirn küßte, nahm er eines von Achans Goldarmbändern ab und schob es über Marrahs Handgelenk. »Wir werden tun, was immer dich glücklich macht«, versprach er. Und dann legte er eine Hand auf Hessas runden, spiralförmigen Bauch und gelobte, Marrah den ganzen Sommer zu lieben, zuerst auf hansi und dann noch einmal auf shambah, damit sie alles verstand.
    Danach liefen die Dinge gut, und sie waren wieder für eine lange Zeit glücklich.
    Am nächsten Morgen, dem fünften und letzten Tag des Schlangenfests, nahm Marrah zusammen mit den Priesterinnen von Gira an einer Zeremonie teil, so fremdartig schön und faszinierend, daß kein Gedenklied ihr jemals gerecht geworden war. Die Zeremonie, die als »Das Herbeirufen der Delphine« bekannt war, fand kurz vor Sonnenaufgang statt, als der Himmel purpurrote und rosa Streifen aufwies und das Meer so ruhig und glatt wie die Innenfläche einer Hand war.
    Einige Stunden zuvor, als noch Dunkelheit geherrscht hatte, war Desta vom Östlichen Tempel aufgebrochen und hatte die Asche der toten Yasha in einer kleinen, eiförmigen Tonschale durch die Stadt getragen. Als Königin des Ostens war Desta für alle Riten von Geburt und Leben verantwortlich, und während sie durch die Stadt ging, gefolgt von Marrah und mehreren hundert weißgekleideten Priesterinnen, sang sie ein Lied, das sie selbst komponiert hatte. Das Lied erzählte die Lebensgeschichte Yashas. Wie alle Bestattungslieder war es nicht ganz ehrfurchtsvoll, aber Yasha und ihre Zwillingsschwester hatten dem Inselvolk gut gedient damals zu ihrer Zeit, und die Geschichte ihrer Taten wurde liebevoll erzählt, begleitet von Flöten und Harfen und den hohen Stimmen einer speziellen Gruppe von Kindern, die Desta beim Refrain unterstützten.
    Als Desta den Westlichen Tempel erreicht hatte, übergab sie das Tonei voller Asche an Olva, die bereits am Rand des Meeres auf sie wartete. Als Königin des Westens war Olva für alles zuständig, was mit Tod und Erneuerung zu tun hatte. Sie nahm die Schale aus der Hand ihrer Schwester, kniete nieder und küßte die Erde, und als ihre Lippen den Sand berührten, traten sechs Priesterinnen vor, die Arme voller weißer Blumen, und streuten einen Pfad von Blütenblättern, der zum Wasser hinunterführte.
    Marrah war eine jener Priesterinnen, und als sie sich vorbeugte und duftende Blüten auf den Strand streute, fühlte sie ein Prickeln der Erregung. Spielte ihr ihre Phantasie einen Streich, oder begann sich das Meer tatsächlich leicht zu kräuseln? Sie warf die letzte Blume und blickte dann angestrengt auf das Wasser hinaus, aber es war immer noch spiegelglatt. Wellen, so flach, daß sie kaum erkennbar waren, plätscherten an den Strand, und das einzige Zeichen von Bewegung war eine einzelne Möwe, die Richtung Westen flog, wobei ihr weißer Bauch matt im frühmorgendlichen Licht schimmerte.
    Olva erhob sich und reichte das Tonei der ältesten Frau auf der Insel, einer uralten Dorfmutter namens Shadaz, die rechts und links von ihren beiden ältesten Söhnen gestützt wurde. Shadaz wiederum reichte Olva ein Widderhorn. Olva hob das Horn an ihre Lippen und blies einen einzigen schmetternden Laut, der von den Häusern

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