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Alteuropa-Trilogie 1 - Im Jahr der Pferde

Titel: Alteuropa-Trilogie 1 - Im Jahr der Pferde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Mackey
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einer von ihnen ahnte, daß er es in Wirklichkeit besser konnte. Er hat ihnen seinen Stolz geopfert, dachte sie, und sie wissen es noch nicht einmal.
    In dieser Nacht, als sie zusammen am Flußufer lagen und sich auf einem weichen Moospolster aneinanderschmiegten, flüsterte sie Stavan zu, daß sie ihn für das, was er getan hatte, noch mehr als je zuvor achtete. Er schwieg eine ganze Weile. Schließlich erhob er sich, nahm sie bei der Hand und führte sie zu einer Stelle, wo sie reden konnten, ohne Arang zu wecken.
    »Ich bin dabei, mich zu verändern«, sagte er.
    Sie nickte und drückte seine Hand. » Ja «, stimmte sie zu und dachte, wie anders er war als der Fremde, den sie ein Jahr zuvor am Strand gefunden hatte. Damals war er so grimmig, so argwöhnisch gewesen, so schwierig im Umgang, daß sich selbst Mutter Asha keinen Rat mehr gewußt hatte. Was würde sie wohl denken, wenn sie ihn jetzt sehen könnte, wie er mit Arang redete oder Feuerholz sammelte oder seinen Platz am Ruder übernahm?
    Sie standen eine Weile ruhig da, ohne zu sprechen. In der Ferne rief eine Eule, und der breite Fluß zu ihren Füßen strömte unaufhaltsam Richtung Shara. Schließlich sprach Stavan erneut. »Ich bin mir nicht sicher, wie ich es sagen soll, Marrah, aber ich glaube, die Leute deines Volkes lieben einander auf eine Art, wie es meine nicht tun, und ich möchte an dieser Liebe teilhaben. Hast du gesehen, wie mich diese Männer heute nachmittag willkommen geheißen haben, wie sie mir alle die Hand entgegenstreckten, ganz ohne Furcht?«
    »Aber natürlich haben sie dich willkommen geheißen. Warum sollten sie Angst haben? Du warst einer von ihnen, Stavan.«
    »Nein, das war ich nicht. Ich war ein Fremder – ein großer, merkwürdig aussehender Fremder, der in ihr Dorf kam, ohne um Erlaubnis zu fragen. Woher wußten sie, daß ich in friedlicher Absicht kam? Dort, wo ich herkomme, traut keiner jemals einem Fremden. Wenn man einem Mann begegnet, den man nicht kennt, hält man ihm ein Messer an die Kehle, bis er einem den Namen seines Vaters sagt, und selbst wenn es ihm gelungen ist, einen davon zu überzeugen, daß er kein Spion ist, kann man trotzdem niemals sicher sein, ob er einen nicht hinterrücks ersticht. Bei den Hansi gibt es ein Sprichwort: ›Alle Männer sind geborene Feinde, bis auf Brüder, aber wende auch einem Bruder niemals den Rücken zu.«
    Er schlang seine Arme um Marrah und zog sie fest an sich. Sie wartete, wohl wissend, daß noch mehr kommen würde. »Ein paar von den Männern, die heute nachmittag getanzt haben, waren so alt, daß sie sich kaum noch bewegen konnten, doch wann immer einer stolperte, streckte sich ihm ein Arm entgegen, um ihn zu stützen, und wenn er aus dem Takt geriet oder stehenblieb, um Atem zu holen, warteten die anderen geduldig, bis er in der Lage war weiterzutanzen.« Stavan preßte die Lippen zusammen und starrte einen Moment blicklos in die Dunkelheit.
    »Hast du irgendeine Vorstellung davon, wie seltsam es für mich war, diese alten und jungen Männer zusammen tanzen zu sehen?
    Wo ich herkomme, werden nur Häuptlinge mit so viel Respekt behandelt. Wenn ein gewöhnlicher Mann zu alt zum Kämpfen oder Jagen ist, wird er dazu verdammt, im Zelt seines ältesten Sohnes zu hocken und zu essen, was immer die Frauen bereit sind, ihm an Resten hinzuwerfen – das heißt, wenn ihn seine Söhne nicht vorher töten, um sich seine Pferde anzueignen. Aber hier wird jeder Mann wie ein Häuptling behandelt – und auch jede Frau, was das angeht. Selbst die Kinder werden geehrt. Ich habe noch nie etwas Derartiges erlebt. Und ich möchte auch so leben. Ich nehme an, ich habe es mir schon immer gewünscht, aber bevor ich in den Westen kam, wußte ich nicht, daß so etwas möglich ist.«
    Er küßte sie auf die Stirn. »Deshalb möchte ich dich heute abend um einen großen Gefallen bitten: Bring mir mehr von eurer Lebensweise bei. Laß mich lernen, wie ich Teil eurer Welt werden kann, weil ich in meine alte Welt nicht mehr hineinpasse. Heute abend fühle ich mich nicht wie ein Hansi. Ich weiß nicht, was genau ich bin oder zu welchem Stamm ich gehöre, aber ich weiß, daß es nicht der ist, in den ich geboren wurde.«
    Behutsam berührte er die kupfernen Sonnensymbole, die er um den Hals trug. »Ich will damit nicht sagen, daß ich schon bereit bin, diese hier abzunehmen und statt dessen eines der Zeichen eurer Göttin zu tragen. Ich glaube noch immer, daß Han so mächtig ist, daß Er mich auf

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