Alteuropa-Trilogie 1 - Im Jahr der Pferde
aßen sie und legten sich ins Gras, um auszuruhen, bis die Sonne am westlichen Horizont zu versinken begann.
In jenen Tagen, wenn Arang schlief und die Händler friedlich schnarchten, entfernten sich Marrah und Stavan manchmal ein Stück vom Rest der Gruppe und liebten sich leise im Schilf, um die anderen nicht zu stören. Wenn Marrah den Höhepunkt der Lust erlebte, zog Stavan ihr dichtes Haar über ihren Mund, um ihre ekstatischen Schreie zu dämpfen, und wenn er verzückt aufstöhnte, legte sie leicht ihre Hand auf seine Lippen. Es war etwas Süßes an diesem Liebesspiel in völliger Stille, etwas, was dem Nachmittag einen traumähnlichen Zauber verlieh. Manchmal, wenn sie danach flüsternd und lachend nebeneinandersaßen und Fruchtsaft aus einem Tonkrug teilten, der im Fluß gekühlt worden war, neckte Marrah ihn damit, daß er nur eine Traumgestalt sei, und er erwiderte scherzhaft, nein, er sei ihr Dämonen-Liebhaber. Im Grasmeer, so erzählte er ihr, kämen die Götter oft aus der Unterwelt hervor, um sich mit sterblichen Frauen zu paaren, und jeder wüßte, daß die Götter unersättlich waren.
»Kein Mann aus Fleisch und Blut könnte dich so küssen«, sagte er und küßte sie wild und stürmisch, bis sie keuchend nach Luft schnappte, und dann floh sie in gespielter Angst vor ihm und lachte so übermütig, daß er seine Hände auf ihren Mund legen mußte, um zu verhindern, daß sie die anderen aufweckte.
Wenn sie mehr als ein paar Tage in irgendeinem abgelegenen Dorf aufgehalten wurden, erkundeten sie die Wälder, wobei sie manchmal einen Hügel hinaufkletterten, um eine bessere Aussicht auf das zu haben, was flußabwärts lag. Am frühen Morgen machte der Rauchfluß seinem Namen alle Ehre. Weiße Nebelschleier stiegen langsam von seiner Oberfläche auf, und er schien so breit und so spiegelglatt wie ein See dazuliegen. Doch im Laufe des Tages nahm sein Wasser eine blau-grüne Farbe an; große Bäume trieben vorbei, während ihre Wurzeln wie Finger aufragten, und man konnte starke Strömungen in Ufernähe beobachten, die sich in einer endlosen, sich schlängelnden Kurve wanden, die Marrah an den Schlangentanz erinnerte.
Nachdem sie sich am Anblick des Flusses satt gesehen hatten, wanderte Marrah eine Weile herum und suchte nach unbekannten Pflanzen, während Arang mit Pfeil und Bogen übte und Stavan Vögel oder andere kleine Tiere jagte. Bisweilen, wenn er der Jagd überdrüssig war oder kein Glück hatte, führte er sie tiefer in den Wald hinein und brachte ihnen interessante Dinge bei: Wie man die Spur eines Tieres verfolgen konnte, indem man auf umgekippte Steine oder zertretene Zweige achtete; wie man Vogelgezwitscher so täuschend echt nachahmen konnte, daß selbst die Vögel den Unterschied nicht bemerkten; wie man trockenes Holz bei nassem Wetter fand oder mit dem sirrenden Bogen seines Bruders schoß. Natürlich hatten Marrah und Arang schon vieles von all dem gewußt, lange bevor sie Stavan begegnet waren. Jedes Kind des Küstenvolks wußte über diese Dinge Bescheid. Dennoch kannte Stavan die Wälder besser als sie. Es gab nichts, was er nicht aufspüren konnte, wenn ihm der Sinn danach stand; wenn er pfiff, flogen die Vögel aus den Bäumen und landeten zu seinen Füßen; und wenn er vollkommen reglos dastand und sich mit bloßer Willenskraft dazu zwang, mit den Schatten zu verschmelzen, dann war er unsichtbar.
Und so reisten sie weiter gen Osten, brachten einander Dinge bei und veränderten sich gegenseitig, bis der Tag kam, als Marrah mühelos einen Pfeil in ein Ziel schießen konnte und Stavan sie ansehen und in absoluter Aufrichtigkeit sagen konnte, daß er niemals mehr zum Grasmeer zurückkehren wollte.
Der Tag, an dem er ihr sagte, daß er nicht mehr den Wunsch habe, nach Hause zurückzukehren, war ein ganz gewöhnlicher Tag, der wie jeder andere begann. Am Morgen fingen er und Arang ein paar Fische, und später fing einer der Händler eine Schildkröte. Gegen Mittag kamen sie in einem kleinen staubigen Dorf an, wo gerade ein Fest stattfand. Von dem köstlichen Duft gebratenen Ziegenfleisches und dem Klang von Trommeln angelockt, zogen sie die Boote aus dem Wasser und eilten in die Richtung, aus der das Trommeldröhnen kam. Bald waren alle Aitas des Dorfes um die Gemeinschaftsfeuerstelle versammelt, um von ihren Kindern und den Müttern ihrer Kinder geehrt zu werden. Die Männer, die mit Blumenketten geschmückt waren, saßen bequem auf Grasmatten und aßen geröstetes Ziegenfleisch,
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