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Alteuropa-Trilogie 1 - Im Jahr der Pferde

Titel: Alteuropa-Trilogie 1 - Im Jahr der Pferde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Mackey
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schulde ihm die Treue, die ich dir bisher schuldig war. Tatsache ist, wenn ich ein guter Sohn wäre, wäre ich jetzt bereits auf dem Weg zurück ins Grasmeer, um ihm zu berichten, wie Achan starb, und um ihn vor deinem Volk zu warnen. Nein, es ist sogar noch schlimmer: Ich wäre nicht unterwegs, um ihn zu warnen. Dein Volk wird meines niemals angreifen. Sie haben weder Pferde noch Speere oder vernünftige Bogen, und sie würden lächerliche Krieger abgeben. Nein, ich würde unterwegs sein, um ihm zu sagen, daß es reiche Beute im Westen gibt – Städte voller Gold, ohne auch nur eine einzige Mauer, fette Viehherden, Frauen, Sklavinnen –«
    »Hör auf!« Marrah sprang entsetzt auf. »Das kannst du doch nicht ernst meinen! «
    Stavan war sofort an ihrer Seite und schlang seine Arme um sie. »Marrah, es tut mir leid. Bitte hör mir zu, Marrah. Natürlich ist es nicht mein Ernst. Ich würde dein Volk niemals verraten; ich schwöre bei allem, was mir heilig ist, daß ich eher selbst sterben würde, als zuzulassen, daß ihnen irgendein Leid geschieht. Bitte verzeih mir. Ich bin müde und überreizt. Ich habe mir schon seit Tagen deshalb Sorgen gemacht. Ich wollte dich nicht so aufregen. Ich wollte dir nur begreiflich machen, wie mein Volk reagieren würde, wenn sie von der Lebensweise eures Volkes erführen. Sie würden euch nicht bewundern, weil ihr so friedlich zusammenlebt; eure schönen Töpferwaren oder eure Tempel wären ihnen völlig gleichgültig. Sie würden nur denken –«
    Er brach mitten im Satz ab und drückte sie an sich. »Du zitterst ja. Ich rege dich immer noch auf. Komm, setz dich wieder und beruhige dich. Es tut mir aufrichtig leid. Manchmal habe ich nicht mehr Gefühl als ein wilder Bulle.«
    Marrah war mehr als aufgebracht, sie war furchtbar wütend, aber sie kannte Stavan nun schon lange Zeit und liebte ihn zu sehr, um an seiner Aufrichtigkeit zu zweifeln, wenn er sagte, er würde ihr Volk niemals verraten; deshalb setzte sie sich gehorsam wieder auf den Boden, schluckte all die bitteren Worte, die ihr auf der Zunge lagen, hinunter und ließ ihn fortfahren.
    Was er zu sagen hatte, war einfach, so wie unangenehme Wahrheiten nun einmal oft einfach sind: Er war zu dem Schluß gekommen, daß es keinen Sinn hatte, den Bewohnern von Shara eine Warnung zu überbringen. Er hätte gründlich darüber nachgedacht, sagte er, und ihm wäre klargeworden, daß ihre Leute keine Ahnung hätten, was sie tun sollten, wenn Marrah ihnen erklärte, sie müßten sich auf einen Angriff gefaßt machen. Vielleicht würden sie ihr glauben, da sie Sabalahs Tochter war, und vielleicht auch nicht, aber auf die Dauer würde es ohnehin keine Rolle spielen. Denn die Hansi wüßten alles über Krieg, und die Sharaner wüßten gar nichts darüber.
    Ob Shara ebenso offen und ungeschützt wäre wie all die anderen Städte, die sie am Rauchfluß gesehen hätten, wollte er wissen, und sie mußte zugeben, daß dies der Fall war. Ob es in der Stadt einen einzigen Mann oder eine einzige Frau gäbe, die zum Kämpfen und Töten ausgebildet worden seien? Hätten die Bewohner von Shara Kundschafter, Waffen und genügend Vorräte, um einer langen Belagerung standzuhalten, wenn die Felder verbrannt und die Brunnen vergiftet wären? Wären die Sharaner überhaupt in der Lage zu fliehen? Könnten sie sich zum Beispiel in die Hügel zurüccziehen und sich von dem ernähren, was das Land hergab, um nur nachts in kleinen Verbänden zurückzukehren und anzugreifen? Sie waren Bauern, nicht wahr? Bauern, Handwerker, Fischer? Einige von ihnen könnten jagen, das schon, aber das meiste von dem, was sie aßen, wurde angebaut. Was wüßten sie von der Technik, ein Feuer anzuzünden, ohne daß man den Rauch sehen oder riechen konnte? Was wüßten sie von der Art zu gehen, ohne Fußspuren zu hinterlassen, die Hunde oder Späher verfolgen konnten?
    »Nichts«, war Marrah wieder und wieder zu antworten gezwungen. »Du hast recht. Sie wissen nichts davon. Sie denken nicht auf diese Art. Allein schon die Vorstellung, einen anderen Menschen zu töten, würde sie erschrecken.« Sie rang verzweifelt die Hände und brach in Tränen aus. »Du hast recht, sie können nicht alle nach Westen fliehen, wie es meine Mutter getan hat. Sie werden alle abgeschlachtet.«
    »Abgeschlachtet oder gefangengenommen«, erwiderte Stavan.
    »Aber es muß nicht passieren.« Wieder sprang er auf die Füße und begann nachdenklich auf und ab zu wandern. Seine Worte kamen schnell,

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