Alteuropa-Trilogie 1 - Im Jahr der Pferde
schmorte. Ihre Pferde, deren Vorderbeine mit Stricken gefesselt waren, grasten friedlich in der Nähe und rupften ab, was an Grasbüscheln übriggeblieben war.
Das Erschreckendste an der ganzen Szene war, wie normal sie wirkte. Die Männer schienen entspannt und sogar leicht gelangweilt, als wären die Grausamkeiten, die sie gerade verübt hatten, etwas Alltägliches. Einige von ihnen schärften ihre Waffen; andere unterhielten sich; einer schien sogar zu schlafen. Auf einer Decke neben dem schlafenden Krieger waren Dinge aufgehäuft, die er und seine Kumpane in der Stadt erbeutet hatten – hauptsächlich Tempelschmuck aus Gold und Kupfer, aber auch andere Gegenstände: Spiegel, Messer, Werkzeuge, Becher, feine Leinenröcke, Angelhaken, eine Kinderpuppe mit einem Tongesicht und einem roten Kleidchen, sogar mehrere Ketten aus Würsten. Überall auf der Lichtung lagen Weinkrüge verstreut, die ohne Zweifel ebenfalls aus Shambah stammten, da die meisten mit farbenfrohen Schmetterlingen bemalt waren. Es war üblich, Weinkrüge immer wieder zu benutzen – ein stabiler konnte mehr als zwanzig Jahre halten –, aber zwei Drittel der Krüge waren zerbrochen, und Marrah sah, wie einer der Krieger gerade einen weiteren Krug leerte und ihn dann achtlos über seine Schulter warf.
Als die Männer Marrah erblickten, sprangen mehrere von ihnen auf die Füße und grinsten auf die gleiche häßliche Art wie der Mann, der sie geschlagen hatte, aber der Reiter sagte mürrisch etwas zu ihnen, woraufhin sie enttäuscht das Gesicht verzogen und sich wieder setzten. Der Reiter schubste Marrah zu dem Haufen aus Beutegut und bedeutete ihr stillzustehen, wobei er ihr mit einer drohenden Geste klarmachte, daß er sie sonst mit seinem Speer durchbohren würde. Dann zog er sein Pferd herum und ritt über die Lichtung davon.
Ein paar Minuten lang stand sie völlig reglos da, voller Furcht, er könnte zurückkommen und sie töten. Ihr Körper schmerzte, und sie zitterte vor Angst, aber sie war auch so wütend, daß sie kaum einen klaren Gedanken fassen konnte. Keiner hatte sie jemals zuvor geschlagen; keiner hatte jemals auch nur die Hand gegen sie erhoben. Sie starrte finster auf die Krieger, die keine Notiz von ihr nahmen, fühlte sich gedemütigt durch ihre Nacktheit. Gewöhnlich machte es ihr nichts aus, bei heißem Wetter ohne Kleider zu sein – in Shara hatte sie den ganzen Sommer über nackt im See gebadet –, aber diese Männer hatten Nacktheit in etwas verwandelt, was ihr ihre Hilflosigkeit und Verwundbarkeit bewußt machte.
Sie inspizierte die blauen Flecken auf ihren Armen und dachte daran, wie diese Männer, die jetzt so behaglich um das Feuer herumsaßen und miteinander schwatzten, Shambah zu Schutt und Asche niedergebrannt, seine Bewohner massakriert, Nacah und Cyen und die beiden Frauen getötet und wer weiß was mit Arang und Akoah angestellt hatten; und zum ersten Mal in ihrem Leben wußte sie, wie es war, sich nach Rache zu verzehren. Wenn sie ihren Bruder angerührt, wenn sie ihm auch nur ein Haar auf dem Kopf gekrümmt hatten, würde sie ...
Was würde sie tun? Sie stand stocksteif da, gelähmt von Wut und Furcht und entsetzt über die Heftigkeit ihres eigenen Hasses. Die Tiermenschen hatten etwas Böses über die Welt gebracht, das sogar friedliche Menschen in haßerfüllte Wesen verwandeln konnte. Die Tiermenschen an sich waren schon furchterregend genug, aber ebenso furchterregend war die Vorstellung, daß sie, die immer die Göttin Erde angebetet und ihre Gebote befolgt hatte, sich danach sehnen konnte, diese Barbaren zu töten.
Die Männer lachten über einen Scherz, und Marrah wandte sich ab, angeekelt von ihrem Anblick. Verstohlen, Schritt für Schritt, bewegte sie sich auf den Wald zu, in der Hoffnung, die Krieger würden nichts davon merken, bis sie nahe genug an den Bäumen war, um in den Wald zu flüchten, aber sie hatten so scharfe Augen wie Habichte. Marrah war noch keine zehn Schritte weit gekommen, als einer von ihnen aufsprang, auf sie zurannte, sie an den Handgelenken packte und sie zu Boden riß. Sie stürzte so hart, daß ihre Zähne heftig aufeinanderschlugen. Der Mann knurrte einen scharfen Befehl, während er die Spitze seines Messers drohend gegen ihre Kehle hielt. Marrah brauchte seine Sprache nicht zu verstehen, um zu wissen, was er meinte. Sie nickte zum Zeichen, daß sie verstanden hatte.
Der Mann grinste breit, als freute es ihn, daß er so viel Macht über sie hatte. Blitzschnell bückte
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