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Alteuropa-Trilogie 1 - Im Jahr der Pferde

Titel: Alteuropa-Trilogie 1 - Im Jahr der Pferde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Mackey
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Krieger war noch nicht fertig. Als nächstes suchte er einen Gürtel heraus, eine Tunika, einen Umhang und ein weißes Handtuch von der Art, wie es Priesterinnen benutzten, um zerbrechliche zeremonielle Gegenstände darin einzuwickeln. Und als wäre dies noch nicht genug, ging er zu einem der Pferde, klappte eine Satteltasche aus Leder auf und zog ein Paar Stiefel und Beinlinge aus verfilztem Pelz heraus. Erstaunt starrte Marrah auf den Haufen Kleider. Er erwartete doch sicherlich nicht, daß sie all die Sachen anzog, nicht bei so heißem Wetter.
    Er erwartete es nicht nur, er bestand sogar darauf. Da sie unmöglich wissen konnte, was passieren würde, wenn sie sich weigerte, stieg Marrah widerstrebend in die Kleidungsstücke, die warm genug waren, um selbst gegen die bitterkalten Winter in Xori zu schützen. Zum Glück durfte sie wenigstens ihre Sandalen anbehalten, als klar wurde, daß die Stiefel viel zu groß waren. Nachdem sie die Kanten der Beinlinge soweit aufgerollt hatte, daß sie nicht darüber stolperte, bedeutete ihr der Mann mit einer Geste, sich das Handtuch um den Kopf zu drapieren, so daß es ihr Haar und den unteren Teil ihres Gesichts bedeckte, was lächerlich war, aber wieder gehorchte sie schweigend. Bis sie endlich zu seiner Zufriedenheit angekleidet war, kam sie sich vor wie jemand, der für eine der komischen Rollen beim Schlangenfest kostümiert war.
    Danach ließ er sie allein im Schatten zurück, um in ihren Kleidern zu schwitzen und sich zu fragen, was als nächstes passieren würde. Alles in allem war es immer noch besser, in dicke Schichten von Kleidung eingemummelt zu sein, als nackt vor den Mördern zu stehen, aber die Beinlinge juckten wie verrückt. Sie erinnerte sich, daß Stavan ein ähnliches Paar getragen hatte, als sie ihn am Strand fand; er hatte ihr erklärt, daß sie aus der abgeworfenen Wolle langhaariger Schafe gewebt wurden.
    Marrah dachte an jenem Nachmittag viel über Stavan nach. Immer wieder fragte sie sich, wie es möglich war, daß ein so guter, anständiger Mann aus einem so schrecklichen Volk stammen konnte. Sie wußte jetzt, daß er ihr viele Dinge verschwiegen hatte –wahrscheinlich, weil er sich ihrer schämte –, und sie fragte sich, ob sie nach dem heutigen Tag jemals wieder sein Haar berühren oder in seine Augen blicken könnte, ohne zu schaudern.
    Die Zeit verstrich, und die Schatten wurden länger. Das Fleisch war gebraten und verzehrt worden, und man hatte Marrah sogar eine Portion davon gebracht, über die sie sich hungrig hermachte, trotz der Schmerzen in ihrem Magen und der wachsenden Angst, daß Arang mit den anderen getötet worden war. Manchmal kamen Reiter in die Lichtung und ritten wieder fort, aber sie trugen keine Waffen bei sich, und es schienen keine Kämpfe mehr stattzufinden, vielleicht, weil es niemanden mehr zu bekämpfen gab. Einmal ritt ein großer Mann auf sie zu und warf ihr ein kleines, schmutziges Bündel in den Schoß. Als sie es auseinanderrollte, fand sie ihr aufgeschlitztes Kleid darin, ihren Gürtel und den Lederbeutel mit Arzneien. Selbst die Geschenke, die ihr die Priesterinnen von Nar gemacht hatten, waren noch in dem Beutel. Es sah zwar nicht danach aus, als würde sie eine Chance bekommen, sie zu benutzen, aber zu wissen, daß sie nicht verlorengegangen waren, gab ihr wieder etwas Zuversicht.
    Sie überlegte gerade, ob sie einen neuen Fluchtversuch wagen sollte, als fünf Männer ins Lager ritten, lachend und scherzend. Einer von ihnen hatte ein großes, in Wildleder gehülltes Paket quer vor sich auf seinem Pferd liegen. Nachdem er abgesessen war, band er das Bündel los, warf es lässig auf den Boden und ging zu den anderen, um einen Krug Wein mit ihnen zu teilen. Da Marrah nichts Besseres zu tun hatte, starrte sie auf das Bündel und fragte sich, was wohl darin sein mochte. Plötzlich bewegte sich das Leder, und sie sah die Füße einer Frau an einem Ende herausragen.
    Erschrocken humpelte sie darauf zu und schlug die Häute auseinander. Eine junge Frau blickte zu ihr auf, ihr Gesicht so mit Blutergüssen und Schlamm bedeckt, daß Marrah sie zuerst nicht erkannte. Dann begriff sie, wer es war.
    »Akoah?« flüsterte sie. Es war die jüngste der Seglerinnen. Beim Klang ihres Namens verzog sich Akoahs Gesicht vor Furcht. »Hab keine Angst«, murmelte Marrah. »Ich bin's, Marrah. Ich werde dir nicht weh tun.« Sie ergriff die Hände der jungen Frau und begann, die Fesseln um ihre Handgelenke zu lösen, während sie die

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