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Alteuropa-Trilogie 1 - Im Jahr der Pferde

Titel: Alteuropa-Trilogie 1 - Im Jahr der Pferde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Mackey
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Junge, der nicht reiten kann, ist wertlos für sie, und einer, der sich weigert, ist eine solche Schande für den Stamm, daß keiner weiß, was sie mit dir tun werden.« Sie zeigte auf seine Kleider. Sie waren luxuriös nach den Maßstäben der Nomaden, obwohl jede Tempelweberin in Shara etwas Besseres zustande gebracht hätte: eine weiße Tunika und ein Paar verfilzter weißer Wollbeinlinge, weiche Stiefel und ein kleiner goldener Anhänger in Form der Sonne. »Sie haben dich wie einen kleinen Häuptling gekleidet, und wenn du ihren Respekt gewinnen willst, mußt du dich auch wie einer benehmen. Vergiß nicht, du bist Achans Sohn.«
    »Fick Achan«, knurrte Arang. Er schien die Schimpfwörter der Hansi als erstes zu lernen, und es war bemerkenswert, wie viele davon sexueller Art waren. Dalishs Augen wurden schmal.
    »Du kannst von Glück reden, daß dein Akzent so schlecht ist, daß sie das nicht verstanden haben. Und jetzt steig wieder auf das Pferd, du störrischer kleiner Dummkopf, sonst werde ich übersetzen, was du gerade gesagt hast. Wenn du es unbedingt darauf anlegst, dich und deine Schwester zu töten, dann nur zu, aber ich werde mich nicht dir zuliebe aufspießen lassen.« Verängstigt durch die Drohung, zog Arang sich wieder auf den Pferderücken, und von da ab hielt er wohlweislich den Mund, wenn er wieder einmal abgeworfen wurde.
    Er haßte es zu reiten, aber Marrahs Knochen hörten allmählich zu schmerzen auf, und es begann ihr Spaß zu machen. Zu ihrer Überraschung entwickelte sie sogar große Zuneigung zu ihrem Pferd, einer braunen Stute, die sie geduldig trug, nachdem Marrah gelernt hatte, mit ihr umzugehen. Bald kraulte sie die Stute hinter den Ohren und sprach mit ihr, weil das Tier den Klang ihrer Stimme zu genießen schien, und sie gab ihm sogar einen Namen: Tarka. Das Wort bedeutete »Freiheit« in der Sprache des Küstenvolks, und jedesmal, wenn Marrah den Namen aussprach, dachte sie an Xori, an Sabalah und das Meer der Grauen Wogen.
    Sie dachte auch häufig an Stavan. Der einzige Trost, den sie neben Arangs Gesellschaft und Dalishs Freundlichkeit hatte, war der Gedanke, daß sie allmählich in seine Nähe kam. Vielleicht würde sie ihn sehen, aber vielleicht auch nicht. Das Grasmeer war riesig, und sie hatte keinen Grund zu der Annahme, daß Slehans Krieger sie in die Nähe der Zelte ihres Großen Häuptlings bringen würden. Und dennoch, wenn sie nachts neben Arang lag, malte sie sich aus, wie Stavan durch das hohe Gras auf sie zukam, und manchmal, wenn sie endlich einschlief, träumte sie davon, wie sie einander liebten. Aber es wäre vielleicht besser gewesen, gar nicht zu träumen, denn wenn sie in ihrer Phantasie die Nacht mit Stavan verbracht hatte und am nächsten Morgen aufwachte, fühlte sie sich einsamer und mutloser als je zuvor.
    Sie ritten weiter, und als die Sonne heißer wurde, schien das Land vor ihr zu kapitulieren. Gegen Ende der Woche waren die kühlen grünen Wälder nur noch eine Erinnerung. Während sie die letzten vereinzelten Bauminseln hinter sich ließen und in das hohe Gras kamen, schrumpften die Eichen zu Büschen, dann schrumpften auch die Büsche zu kärglichem Gestrüpp, und schließlich wurde die Göttin Erde zu einer gesichtslosen Ebene, ohne auch nur so etwas wie einen Hügel, um die Monotonie zu unterbrechen. Tatsächlich war die Ebene von Schluchten und Flußbetten durchzogen, aber man konnte sie erst dann erkennen, wenn man fast hineinfiel, und die wenigen Weiden und Erlen, die in dem sandigen Boden neben dem Wasser ums Überleben kämpften, waren wie Besucher aus einer anderen Welt. Auf der Ebene selbst gab es überhaupt keine Bäume mehr, nur hohes gefiedertes Gras, das wie ein endloses grünes Meer im Wind wogte.
    Als das Land immer flacher wurde, schien sich der Himmel auszudehnen. Gegen Mittag war er ein riesiges Tuch von leuchtendem Blau, gefüllt mit gewaltigen Wolken, die vor dem Wind hertrieben und seltsam geisterähnliche Konturen annahmen. Im Morgengrauen und bei Sonnenuntergang brach sich das heiße, weißglühende Licht in grellen Rot- und Violett-Tönen, und in der Nacht, wenn Marrah und Arang auf dem Boden lagen, glitzerten Tausende von kalten, leuchtenden Sternen wie Kristallzähne über ihren Köpfen.
    Es war ein rauhes, wildes Land, das ein rauhes, wildes Volk hervorgebracht hatte, und als Marrah unter der gnadenlosen Sonne dahinritt mit einem Mund so trocken wie Stroh, begann sie zu verstehen, wie die Nomaden dazu gekommen waren, Han

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