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Alteuropa-Trilogie 1 - Im Jahr der Pferde

Titel: Alteuropa-Trilogie 1 - Im Jahr der Pferde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Mackey
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zwölf Jahre alt. Wie lange konnte sie noch von ihm erwarten, daß er Widerstand leistete?
    Nachdem Arang Timak angeschrien hatte, behandelte sie Marrah mit mehr Respekt. Statt sie zu schlagen und zur Tür hinauszustoßen, um Pferdemist zu sammeln, gab sie ihr jetzt den Korb und knurrte dabei etwas vor sich hin. Manchmal schickte sie Marrah zum Wasserholen oder um wilde Kräuter und Wurzeln zu sammeln. Hin und wieder erlaubte sie Marrah sogar, Hiknak beim Melken der Kühe und Stuten zu helfen oder Vlahans Essen zu kochen, was eine ziemlich mühselige Prozedur war. Da die Nomaden kaum jemals Tongeschirr benutzten, briet das Fleisch entweder direkt über dem Feuer oder wurde mit Wasser zu einer Art Ragout eingekocht, indem man heiße Steine in einen mit Leder ausgekleideten Korb warf. Wenn die Steine zu heiß waren, zerbrachen sie, sobald sie in die Flüssigkeit fielen, wobei sie das Kochgut versengten und sich durch den Boden des Korbs brannten. Wenn sie dagegen zu kalt waren, sanken sie auf den Boden, ohne das Fleisch zu erwärmen. Marrahs erster Versuch war ein Fehlschlag, doch statt ihr einen Fußtritt zu versetzen, murmelte Timak lediglich einen Fluch, kippte die Fleischbrühe in einen neuen Korb und begann von vorn.
    Vlahan hegte eine besondere Vorliebe für die fetten Wühlmäuse, die sich von den wildwachsenden Gräsern ernährten, und nachdem sie so kümmerlich dabei versagt hatte, einen Eintopf zu kochen, bekam Marrah die Aufgabe, die kleinen Tiere auszunehmen, ihr Fell in den Flammen abzusengen und sie in eine kleine Grube zum Garen zu legen. Die Hansi aßen eine ganze Reihe von absonderlichen Tieren: Larven, Schlangen, Eidechsen und – wie Dalish versprochen hatte – Grashüpfer. Aber hauptsächlich aßen sie Rindfleisch, Pferdefleisch, Käse, einen Brei aus Grassamen und eine Art Pudding, der aus Milch und Blut bestand.
    Marrah war so beschäftigt, daß sie manchmal vergaß, sich Sorgen zu machen, doch sie brauchte nur aufzublicken und den Haß in Timaks Augen flackern zu sehen, um zu wissen, daß sie sich auf lebenslängliche Schufterei und Mißbrauch gefaßt machen mußte, wenn ihr nicht irgendwie die Flucht gelang. Und dennoch, als die Zeit verging, wurde ihr Leben ein wenig angenehmer. Sie vermutete, daß Arang Timak wieder einmal massiv bedroht hatte, denn plötzlich, nachdem Timak sie tagelang beobachtet hatte, gestattete sie Marrah, allein hinauszugehen, um Dung zu sammeln. Es war eine Erleichterung, durch das hohe Gras zu streifen und sich irgendwo hinzusetzen, wo sie keine beobachtenden Blicke befürchten mußte. In der Steppe stand es ihr frei, von ihrer Heimat zu träumen und zumindest für eine Weile die Schrecken von Vlahans Bett zu vergessen.
    Das einzig Schlimme an ihrer neuen Freiheit war, daß sie auf dem Weg durch das Lager häufig Stavan begegnete. Als dies das erste Mal geschah, war Marrah so aufgeregt, daß sie ihn ansprach, aber er ging einfach weiter und blickte geradewegs durch sie hindurch, als hätte er sie noch nie zuvor gesehen. Als sich ihre Pfade das nächste Mal kreuzten, saß er im Schatten, während er mit einem Stück Pferdehaar spielte und wie ein Idiot vor sich hin brabbelte. Der Gedanke, daß er tatsächlich den Verstand verloren hatte, bekümmerte Marrah zutiefst, aber es schien wahr zu sein. Nach einigen weiteren unerfreulichen Begegnungen eilte sie jedesmal in die entgegengesetzte Richtung, wenn sie ihn kommen sah. Dalish hatte recht. Was immer zwischen ihnen beiden gewesen war, war vorbei, und es war nicht nur töricht, sondern auch gefährlich, wenn sie ihn dazu zu bringen versuchte, sie zu erkennen.
    Eines Tages im Frühherbst, als sich die Steppe goldgelb verfärbt hatte und die Nacht kalt genug gewesen war, um den Boden mit Rauhreif zu überziehen, saß Marrah gerade inmitten der hohen Gräser und dachte an zu Hause, als sich die Halme plötzlich teilten und Stavan vor ihr stand. Er war barfuß, mit Stroh im Haar, und er trug eine zerrissene Tunika und eine Kette aus Dornen um den Hals, aber seine Augen blickten vollkommen klar, und er war so eindeutig bei Verstand wie jeder andere, den sie je gesehen hatte.
    Hastig ließ er sich auf die Knie fallen und legte seine Hand über ihren Mund, um sie daran zu hindern, vor Überraschung laut aufzuschreien. »Pst«, flüsterte er, »wir haben nicht viel Zeit. Ich muß dir etwas sagen. Ich bin –« Er brach mitten im Satz ab, und Marrah hörte Hiknak und eine andere Frau lachend näherkommen. Bevor sie Zeit hatte,

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