Alteuropa-Trilogie 1 - Im Jahr der Pferde
zum Aufbruch zu geben. Neben ihm saß Arang auf einem kleineren Pferd, nicht auf dem Grauschimmel, auf dem er von Shambah hergeritten war, sondern auf einem edlen, feinknochigen Tier, dessen glänzendes Fell die Farbe von Honig hatte. Marrah winkte, als sie ihn sah, und er winkte zurück, doch sie hatten keine Gelegenheit, miteinander zu sprechen, was schade war. Sie wollte noch weiter über Stavan mit ihm reden, aber Zuhan behielt in diesen Tagen ein wachsames Auge auf Arang. Wenn Arang nicht zu ihr kam, konnte sie nirgendwo in seine Nähe gelangen, da es Frauen verboten war, sich ohne Erlaubnis ihres Ehemannes den Haushaltsmitgliedern des Großen Häuptlings zu nähern.
Changar saß neben Arang auf einem schwarzen Hengst, während er alles und jeden mit einem kalten, gebieterischen Blick musterte. Stavan ließ sich nirgendwo blicken, was auch gut war, soweit es Marrah betraf, weil sie sich nicht sicher war, ob sie auch nur in seine Richtung hätte sehen können, ohne daß Timak – oder, schlimmer noch, Changar – irgend etwas geargwöhnt hätten.
Timak schimpfte und fluchte in einem fort, bis Vlahan endlich mit vier Pferden erschien. Er übergab sie ihr ohne ein Wort der Entschuldigung und galoppierte dann zurück zu der Herde, um dabei zu helfen, das Vieh zusammenzutreiben. Timak schirrte ein Pferd vor den Schlitten und befahl Marrah und Hiknak, die anderen drei aufzuzäumen. Sie hatte einen unangenehmen Charakter, aber sie war auch eine schnelle, tüchtige Arbeiterin, und als Marrah ihren Anweisungen zu folgen versuchte, fühlte sie eine widerwillige Bewunderung für sie. Diese Nomadenfrauen mochten zwar wie ängstliche Mäuse herumhuschen, wenn ihre Männer einen Befehl erteilten, aber sie waren so stark wie Bullen, und wenn es darum ging, einem nervösen Pferd eine Gebißstange ins Maul zu schieben, ohne dabei getreten zu werden, konnte es niemand mit ihnen aufnehmen.
Als die Pferde aufgezäumt waren, stiegen die drei Frauen in den Sattel und formierten sich zu einer Reihe, wobei Timak die Spitze bildete und Hiknak und das Schlittenpferd die Nachhut. Und zwar gerade noch rechtzeitig, denn als sie sich zurechtsetzten, gab Zuhan Changar ein Zeichen. Der Wahrsager verbeugte sich vor dem Großen Häuptling, hob ein weißes, flötenähnliches Instrument an die Lippen und blies einen einzigen, schrillen Ton. Später erfuhr Marrah, daß die Marschtrompete aus einem menschlichen Schenkelknochen bestand, aber selbst in diesem Moment, als sie gnädiger-weise noch nichts davon wußte, ging ihr der gellende Klang durch Mark und Bein und verursachte ihr eine Gänsehaut. Tarka schien ihn ebenfalls nicht zu mögen; sie legte die Ohren zurück und scharrte nervös mit den Hufen im Staub, und Marrah konnte nur mit Mühe verhindern, daß sie mit einem Satz aus der Reihe sprang.
Beim Schmettern der Trompete begannen sich alle in Bewegung zu setzen: zuerst Zuhan und seine Leibwächter, dann Changar und Arang, dann die Frauen und Kinder jeder Familie, während sich die Zuspätkommenden beeilten, den Zug einzuholen. Als sich die Frauen und Packpferde vorwärtsbewegten, begannen die Männer in der Steppe, die Pferde und Rinder mit schrillen Rufen anzutreiben. Langsam wie ein breiter Fluß setzten sich die Herden in Bewegung, ließen Wolken blassen Staubs in den Himmel aufsteigen. Bald war der Ort, wo sie so viele Tage lang kampiert hatten, nicht mehr als ein langer Streifen plattgetretenen Grases, mit Löchern, wo die Zelte gestanden hatten, und kleine Häufchen von Knochen und anderen Abfällen. Schon kreisten Krähen und Bussarde am Himmel, bereit, herabzustürzen und die Reste zu vertilgen.
Ihr Vorwärtskommen durch das hohe Gras erinnerte Marrah an den Ritt von Shambah zu Slehans Lager, nur daß es langsamer vonstatten ging und weit weniger brutal war. Niemand wurde durstig, und gegen Mittag hielt der gesamte Stamm an, um die Kinder zu füttern, die Pferde zu tränken und eine kalte Mahlzeit einzunehmen. An diesem Abend schlugen sie noch vor Einbruch der Dunkelheit ihr Lager auf, zündeten kleine Kochfeuer an und paccten genügend Decken und Körbe aus, um es sich bequem zu machen. Am nächsten Morgen kurz nach Sonnenaufgang gab Changar den Befehl zum Aufbruch, und sie machten sich wieder auf den Weg.
Sie zogen mehrere Tage lang weiter. Marrah sah Arang manchmal mit Zuhan und manchmal mit Dalish, die ihm anscheinend Unterricht in Hansi erteilte. Während sie Seite an Seite dahinritten, zeigte Dalish gelegentlich auf einen
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