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Alteuropa-Trilogie 1 - Im Jahr der Pferde

Titel: Alteuropa-Trilogie 1 - Im Jahr der Pferde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Mackey
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belog Ama. Aber wie konnte sie lügen? Sie war den ganzen weiten Weg von Shara nach Xori gereist und hatte dabei kein einziges Mal von Menschen gehört, die einander mit Messern angriffen. Es hatte zwar einige Dörfer weiter oben am Rauchfluß gegeben, wo seit Generationen Fehden bestanden, und die Leute spuckten haßerfüllt auf den Boden, wenn sie ihre Feinde sahen, und manchmal prügelten sie sich auch, aber Messer waren eine völlig andere Sache. Mit einem Messer konnte man jemanden töten. Mord war ein Sakrileg gegen die Göttin Erde selbst. Kein Mensch, der bei Verstand war, würde auch nur an so etwas denken.
    Eine Weile arbeiteten die beiden Frauen schweigend weiter, während sie dem Fremden die ledernen Beinlinge auszogen, ihn abtrockneten und in Schaffelle hüllten. Jede war in ihre eigenen Gedanken versunken.
    »Und noch etwas«, sagte Ama, als sie den letzten der in Tücher gehüllten heißen Steine zu seinen Füßen unter die Decke geschoben hatten und er jetzt so behaglich wie möglich zu liegen schien. »Diese Muster auf seiner Schulter machen mir Sorge. Erstens mal sind sie in seine Haut eingeritzt, was mir höchst grausam erscheint, und zweitens sind sie anders als alle Symbole, die ich jemals zuvor gesehen habe.«
    Sie schlug einen Zipfel der Decke zurück, um eine der Schultern des Fremden zu enthüllen.
    «Dies sind nicht die Zeichen der Göttin. Hier sind weder Dreiecke noch Fruchtbarkeitskreise oder Schlangen oder sonst irgendeines der Symbole, mit denen er bemalt sein müßte, wenn er ein Priester wäre. Sieh dir das hier an. Was ist das, eine Sonne? Und dieses hier. Wie Marrah schon sagte, scheint es ein Blitzstrahl zu sein, aber warum sollte er einen Blitz auf seiner Schulter tragen wollen? Und dieses merkwürdige Tier. Als was würdest du das bezeichnen? Es ist kein Hirsch, das steht fest, aber was ist es dann? Was auch immer es ist, es muß wichtig für ihn sein, denn an seiner Kette hing ein Anhänger, der genau dieselbe Form hatte. Schon möglich, daß er von sehr, sehr weit her gekommen ist, von einem Ort, der so weit entfernt ist, daß sie dort nicht wissen, wie man einen Mann mit den richtigen Symbolen bemalt, ohne ihn zu verletzen, aber mir gefällt das nicht, ehrlich gesagt. Die ganze Sache verursacht mir eine Gänsehaut.«
    »Mir auch.« Sabalah wurde von Minute zu Minute unbehaglicher zumute. Ama hatte recht, diese blauen Symbole hatten etwas Beunruhigendes an sich. Besonders dieses Tier – das mit all den Haaren auf Kopf und Nacken. Es war nicht häßlich, das nicht, aber der bloße Anblick stieß sie irgendwie ab. Und wieder überkam sie dieses sonderbare Gefühl, daß sie das Tier schon einmal gesehen hatte.
    Ama zog die Decke wieder über die Schulter des Mannes und steckte sie um ihn herum fest. »Wenn er am Leben bleibt«, erklärte sie, »werde ich ihn mit nach Hoza nehmen. Wir müssen sowieso dorthin, um die Aufstellung des neuen Göttinnenstandbildes zu feiern; unsere jungen Männer sollen an der Ehre teilhaben, Sie an Ort und Stelle aufzurichten.« Sie preßte die Lippen zusammen und warf Sabalah einen besorgten Blick zu. »Ich glaube, die Ankunft dieses Fremden an unserem Strand ist eine zu wichtige Angelegenheit, als daß der Dorfrat damit fertig werden würde. Natürlich ist es möglich, daß der Mann irgendwann aufwacht und sich erklärt, aber ich fürchte, wenn er den Mund aufmacht, werden wir nicht ein Wort von dem, was er sagt, verstehen.«
    An diesem Abend tanzten die jungen Männer aus Xori und aus den Nachbardörfern nur für Marrah. Sie hatten Reiherfedern in ihr Haar geflochten, einen ledernen Lendenschurz angelegt, ihren Körper eingeölt und einen grauen Fischreiher auf ihren Rücken gemalt, so daß es aussah, als flögen sie davon, wenn sie sich bewegten. Sie stampften mit den Füßen im Rhythmus der Trommeln und wiegten sich anzüglich in den Hüften, um den Balztanz der Vögel zu imitieren, während sie für Marrah sangen und sie baten, ihnen die Ehre zuteil werden zu lassen; denn der Mann, bei dem eine Frau in der Nacht ihrer Volljährigkeit lag, galt als von der Göttin Erde selbst gesegnet.
    Der Tanz ging unaufhörlich weiter, wurde immer schneller und wilder, bis selbst der Boden im Rhythmus der Trommeln zu vibrieren schien; die Männer stampften und sprangen und wirbelten herum, bis sie zu einer verschwommenen Vision halbnackter Körper wurden, die sich in einer endlosen Schlange drehten und wanden. Es war ein komplizierter Tanz, einer, der

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