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Alteuropa-Trilogie 1 - Im Jahr der Pferde

Titel: Alteuropa-Trilogie 1 - Im Jahr der Pferde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Mackey
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eine Angelschnur und einen kleinen hölzernen Schwimmer zu holen. Am Fluß war das Angeln wesentlich pro-blemloser als im Meer der Grauen Wogen, und sie genoß es, abends am Ufer zu sitzen und ein paar braungesprenkelte Forellen oder Flußbarsche aus dem Wasser zu ziehen.
    Nach einer Weile blickte sie auf, um festzustellen, daß Arang nicht länger an der Stelle saß, wo sie ihn zurückgelassen hatte. Sie holte ihre Angelschnur ein und machte sich auf die Suche nach ihm, aber er war nirgendwo zu sehen.
    »Hast du Arang gesehen?« fragte sie Rhom, der am Feuer saß und einen der Lederriemen seines Tragekorbs ausbesserte. Rhom schüttelte den Kopf. Shema sagte, sie hätte Arang auch schon eine Weile nicht mehr gesehen, und Zastra wußte ebenfalls nicht, wo er war.
    »Wahrscheinlich ist er in den Wald gegangen, um zu pinkeln«, schlug Shema vor. »Er ist in diesem Alter, wo Kinder auch ein Privatleben haben wollen.«
    Marrah war nicht überzeugt. Sie eilte zum Waldrand und legte ihre Hände trichterförmig an den Mund. »Arang! Wo bist du? « rief sie. Keine Antwort. »Arang, das ist nicht lustig. Ich weiß, daß du mich hören kannst, Antworte mir! « Immer noch nichts.
    »Also, weit kann er nicht gegangen sein«, meinte Rhom. Er ging zum Ufer und blickte den Fluß hinauf und hinunter, als erwartete er, daß Arang im flachen Wasser schwamm, doch dort waren nur Baumstümpfe, Riedgräser und Enten zu sehen. »Arang! « rief er.
    »Arang! « riefen jetzt alle im Chor, aber die einzige Antwort, die sie bekamen, war das Quaken der Enten.
    Zastra wandte sich mit einem besorgten Ausdruck im Gesicht zu Marrah um. »Wo hast du ihn zuletzt gesehen?«
    »Unter dem Baum dort drüben.«
    »Hat er irgendwas davon gesagt, daß er schwimmen gehen wollte ?«
    »Nein.«
    »Göttin sei Dank. Dann ist er wahrscheinlich nicht ertrunken. Aber wo kann er denn nur sein?«
    Marrah stand einen Moment lang da und starrte auf die Stelle, wo sie Arang zuletzt gesehen hatte. Sie war ein ganzes Stück vom Fluß entfernt, aber ziemlich nahe am Wald.
    »Ich fürchte, er ist allein auf die Jagd gegangen«, sagte sie, marschierte zu Arangs Karb und kippte den Inhalt auf den Boden. Die Pfeile, die Stavan gefertigt hatte, fehlten, und auch Arangs Bogen war nicht mehr da.
    Einen Moment lang starrten sie alle schweigend auf den Beweis. »Das sieht nicht gut aus«, murmelte Zastra.
    »Sicher wird er jede Minute zurückkommen.« Shema stocherte mit ihrem großen Zeh im Inhalt des Korbs, als könnten Bogen und Pfeile doch noch wieder zum Vorschein kommen. »Du kannst einen Jungen nicht von seinem Abendessen trennen, Marrah. Irgendwann wird ihn der Hunger wieder hierhertreiben.« Es war keine geschickte Wortwahl. Marrahs Gedanken kreisten bereits um Hunger – nicht um hungrige kleine Jungen, sondern um hungrige Tiere. Vor ihrem geistigen Auge sah sie Arang vor sich, verloren im Wald, von einem Bären oder noch Schlimmerem bedroht.
    »Dieser Idiot!« rief sie plötzlich und warf Arangs Korb auf die Erde. »Wie konnte er nur etwas so Unverantwortliches tun! « Sie war wütend und verängstigt zugleich, und sie wollte, daß Arang sofort zurückkam. Schließlich hatte sie die Verantwortung für ihn, und wenn er schmollend irgendwo im Wald stand und hörte, wie sie nach ihm riefen, und sich störrisch weigerte, Antwort zu geben, dann würde sie dafür sorgen, daß es lange Zeit dauerte, bis er sich wieder einen Hanigkuchen in den Mund schob. Sie blickte auf den Fluß hinaus und versuchte zu berechnen, wieviel Tageslicht noch übrig war. Das Wasser begann schon, sich von Grün zu einem matten Grau zu verfärben. Die Zeit drängte.
    »Rhom, hol die langen Äste da drüben, wir werden sie als Fackeln benutzen. Draußen am Fluß mag vielleicht noch genügend Licht herrschen, aber im Wald wird es dunkel sein. Zastra, du bleibst im Lager, und wenn Stavan zurückkommt, sag ihm, was hier vorgeht. Er ist ein besserer Fährtenleser als jeder andere von uns, und es ist bedauerlich, daß er nicht hier ist, aber ich glaube nicht, daß wir es uns leisten können, auf ihn zu warten. Shema, Rhom und ich werden die Wälder auf dieser Seite des Flusses absuchen. Ich nehme doch nicht an, daß Arang so verrückt sein würde, voll bekleidet und mit einem Bogen und einem Köcher voller Pfeile auf dem Rücken bis ans andere Ufer zu schwimmen.«
    Sie blickte auf das rasch dahinströmende Wasser hinaus, das im matten Licht des Abends wie eine dunkle Suppe wirkte. Sie und Arang hatten beide

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