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Alteuropa-Trilogie 2 - Die Schmetterlingsgöttin

Titel: Alteuropa-Trilogie 2 - Die Schmetterlingsgöttin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Mackey
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Flügeln, größer als die Erde und der Himmel zusammen.
    Reite nach Shambah,
sagte es.
Reite ganz offen hinein und erzähl keine Lügen. Reite in die Stadt und verlaß dich auf die Wahrheit. Nur die Wahrheit kann dich retten.
    Marrah fühlte etwas Unsichtbares gegen ihre Lippen flattern. »Ich werde gehorchen!« rief sie, und während sie sprach, hob dasselbe Wesen sie hoch und legte sie sanft auf den Boden. Sie landete so weich, daß es sich anfühlte, als versänke sie in einem Berg aus Wolle.
    Danach verging die Zeit – oder auch nicht; es machte keinen Unterschied. Als Marrah schließlich wieder sehen konnte, fand sie sich auf dem Rücken liegend unter einem warmen Schaffell wieder. Stavan kniete neben ihr und hielt ihre Hand, die Trommeln waren verstummt; die Dorfbewohner standen in einem Halbkreis um sie herum und starrten sie erwartungsvoll an.
    »Was ist geschehen?« verlangte der alte Klatif zu wissen. Marrah versuchte zu sprechen, doch sie brachte keinen Ton heraus.
    »Laßt sie zuerst ihre Flügel trocknen«, sagte eine der Frauen.
    »Sie hat eine Raupe im Hals stecken«, sagte eine andere. Die Dorfbewohner lachten glücklich. Zum ersten Mal seit vielen Monaten regte sich in ihnen wieder Hoffnung. Sie hatten nur in Marrahs Augen schauen müssen, um zu wissen, daß Chilana endlich gesprochen hatte.
     

4. KAPITEL
    Nikhan, der Häuptling der Shubhai, saß im Hauptraum seines Forts und rekelte sich auf üppigen, mit weichen Federn gefüllten Kissen, die Füße in Lederstiefeln bequem auf den Rand der Feuergrube gestützt. Er trank shambahnischen Wein aus dem goldenen Kelch, den seine Krieger aus dem Tempel von Chilana gestohlen hatten, und hin und wieder rülpste er laut, wobei eine Wolke süßlicher Ausdünstung in die rauchige Luft entwich. Jetzt, am frühen Nachmittag, war er bereits angenehm benebelt, aber noch nicht halb so betrunken, wie er bei Einbruch der Nacht sein würde.
    Der Kelch war eine wundervolle Arbeit, fein geschwungen um den Rand herum, und mit mythischen Darstellungen von Chilanas immerwährender Auferstehung geschmückt. Auf der einen Seite erschien die Schmetterlingsgöttin in ihrer Raupengestalt, während die Fransen ihrer vielen Beine zart die Handfläche eines Kindes streiften; wenn man den Kelch leicht drehte, konnte man sehen, wie sie ihren Kokon spann und sich in eine weiche Hülle wickelte für ihren langen Schlaf; drehte man den Kelch noch ein wenig weiter, entschlüpfte sie in all ihrer Pracht aus der Puppe, um ihre Flügel zu trocknen und sich in die Lüfte zu schwingen.
    Die Geschichte von Chilanas Verwandlung und Wiedergeburt war eine der großen Legenden der Muttervölker, und in den alten Tagen, bevor Shambah von den Nomaden zerstört worden war, hatten die Kinder der Stadt in jedem Frühling zu Ehren der neugeschlüpften Schmetterlinge getanzt. In kurze Tuniken aus gelbem und weißem Leinen gekleidet und mit Flügeln, die aus Weidenzweigen und Feinstgewebe gefertigt waren, waren sie lachend herumgehüpft, übereinander gestolpert und hatten Honigkuchen geknabbert. Drei volle Tage lang hatte die Stadt mit ihren weißgetünchten Kuppelhäusern und den Gärten voller blauer und purpurroter Blumen vom Klang der Flöten und Trommeln widergehallt.
    Heute wäre der erste Tag des Schmetterlingsfests gewesen, aber die meisten der Kinder, die erst letztes Jahr noch so ausgelassen getanzt hatten, waren jetzt tot, wie auch ihre Mütter, Großmütter, Vettern, Kusinen, Onkel, Tanten und Aitas. Nikhans Fort war auf ihren Gebeinen erbaut, und der Goldkelch selbst wies an einer Seite eine kleine Delle auf, außerdem Spuren von Feuer, das den Tempel zerstört hatte.
    Überall entlang der Küste des Süßwassersees schlüpften die Schmetterlinge pünktlich aus ihren Kokons, und selbst in diesem Moment flatterten Dutzende um die Köpfe der Wachtposten, suchten nach Blumen, die den Flammen entkommen waren – aber keiner der Krieger hatte dieses glückliche Ereignis bemerkt. Die Geschichte, die auf der Außenfläche des Kelches dargestellt war, bedeutete den Nomaden oder ihrem Häuptling nicht das geringste. Alles, was sie verehrten, befand sich im Himmel und nicht auf Erden; Nikhan schätzte den Kelch nur deshalb, weil er erstens aus Gold war und zweitens Wein enthielt.
    Nikhan fand seit einiger Zeit Geschmack an Wein, obwohl er nicht die leiseste Ahnung hatte, wie er hergestellt wurde. Bevor er Shambah erobert und die Überlebenden des Massakers versklavt hatte, hatte er niemals etwas

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