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Alteuropa-Trilogie 2 - Die Schmetterlingsgöttin

Titel: Alteuropa-Trilogie 2 - Die Schmetterlingsgöttin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Mackey
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dem legitimen Sohn von Zuhan hatte das Recht, Hans Heiligen Blitz auf seiner rechten Schulter zu tragen. Nur Erben des Großen Häuptlings durften das Bild der Doppelsonne auf ihren Armen anbringen oder die Pferde des Himmels über die Weide ihrer Brust galoppieren lassen.
    Der kleine Häuptling der Shubhai sank auf die Kissen nieder, vergrub sein Gesicht in den Händen und stöhnte. Es konnte nur einen Grund geben, warum der Sohn des Großen Zuhan ohne Leibwächter herbeigeritten kam: weil irgendwo ganz in der Nähe ein großer Verband von Hansi-Kriegern auf der Lauer lag und nur darauf wartete, das Fort zu stürmen und es bis auf die Grundmauern niederzubrennen. Er war ein Narr gewesen zu glauben, er könnte die Zwanzig Stämme abwehren, sobald sie gegen die Rebellion der Shubhai vorgingen. Durch seine Erinnerung geisterte ein Gerücht über die Art, wie die Hansi mit Verrätern umgingen. Und er dachte an seine Finger und Zehen und wie sehr er sie mochte und an seinen Penis, und wieviel Vergnügen er ihm im Laufe der Jahre verschafft hatte.
    Selbstmitleid überwältigte ihn, und schniefend wischte er sich die Nase mit dem Handrücken ab. Gerne verzichtete er darauf, Häuptling zu sein, ganz gleich von welchem Stamm, nicht einmal von dem der Shubhai. Ein letzter Hoffnungsstrahl glomm in ihm auf: Zuhans Sohn war nicht allein gekommen. Er hatte eine Ehefrau und zwei Konkubinen bei sich. Die Ehefrau und eines der Mädchen waren eindeutig schwanger, und Nikhan hatte noch nie von einem Hansi-Kriegerverband gehört, der schwangere Frauen auf einen Raubzug mitnahm.
    Eine Weile saß er da, während er unentwegt leise vor sich hin wimmerte und sich Mut antrank. Schließlich putzte er sich nochmals die Nase am Ärmel seiner Tunika und rückte seinen Gürtel zurecht. Er dachte an jene dickbäuchigen Frauen, die seine Rettung sein konnten oder auch nicht, und flehte den Gott des Weines an, ihm beizustehen. Aber der Gott des Weines mußte wohl selber benebelt sein, denn Nikhans Gebet wurde nicht erhört. Bald hörte er den Hufschlag von Pferden, die in das Fort hereintrabten, und wenig später fand er sich vor dem Sohn des Großen Häuptlings auf den Knien liegen.
    Zuhans Sohn blickte verächtlich auf ihn herunter. Er war jung und attraktiv; groß, hellhaarig, mit einem Vollbart und blauen Augen, so durchsichtig wie Kristall. In den Ohrläppchen trug er kupferne und goldene Ringe mit den eingravierten Zeichen von Han, um den Hals eine prächtige Kette aus Wolfszähnen; und sein Oberkörper war mit den Narben früheren Schlachtengetümmels bedeckt. Seine Kleider wirkten jedoch seltsam schäbig, als hätte er sie bereits viele Monate auf dem Leibe: ein Paar fleckige, abgewetzte Beinlinge, eine ausgefranste Tunika, ein Pelzumhang, der auch schon bessere Tage gesehen hatte.
    Die drei Frauen und der Junge standen hinter ihm, aber Nikhan nahm sie kaum wahr. Seine Hoden zogen sich vor Furcht zusammen. Er rang um einige Worte der Begrüßung, doch brachte er nur ein Krächzen zustande.
    »I-ich f-f-fühle mich ge-ehrt«, stotterte er.
    »Das solltest du auch«, erwiderte Zuhans Sohn kalt. »Ich bin Stavan, Sohn von Zuhan, dem Großen Häuptling der Hansi, und
    Nachdem Zuhan jetzt ins Paradies heimgekehrt ist, bin ich sein einziger legitimer Erbe und in euer schäbiges Quartier gekommen, um Gastfreundschaft auf meinem Weg nach Süden zu fordern.«
    Zuhan war tot? Hatte er gerade gesagt, Zuhan wäre
tot?
Nikhan schüttelte den Kopf, um den Weindunst aus seinem Hirn zu vertreiben.
    »Tot, Rahan?« Grob übersetzt bedeutete Rahan »Atem des Wolfes« oder auch »Sohn des Großen Gottes Han«, aber wenn Zuhans Sohn über den ehrenvollen Titel erfreut war, so zeigte er es jedenfalls nicht.
    »Tot«, wiederholte Stavan.
    Nikhan erlebte einen Moment überschwenglicher Freude, die seine Ohren heiß werden ließ. Wenn es tatsächlich stimmte, daß der alte Zuhan jetzt Dreck fraß, statt seine Feinde umzubringen und sich ihre Ehefrauen anzueignen, dann würden sich die Hansi gegenseitig bekämpfen, um zu sehen, welcher Unterhäuptling die Herrschaft über die Zwanzig Stämme erlangte. In dem Fall lauerte vielleicht doch kein Kriegerverband draußen in den Wäldern. Konnte es wirklich sein, daß Zuhans Sohn allein in den Süden gekommen war? Nikhan fuhr sich mit der Zunge über die Backenzähne und runzelte die Stirn. Aber warum sollte ein legitimer Erbe des Großen Häuptlings vor seinen eigenen Leuten davonlaufen?
    Er hatte das unbestimmte

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