Alteuropa-Trilogie 2 - Die Schmetterlingsgöttin
Zügel geführt. Vermutlich hatte Arang mit gefesselten Händen auf seinem Rücken gesessen. Die Krieger achteten offensichtlich sorgfältig darauf, daß er nicht wieder fliehen konnte, weil zwei von ihnen vor ihm hergeritten waren, zwei hinter ihm und jeweils einer rechts und links.
Stavan stand einen Moment da, während er auf die Spuren starrte und nachgrübelte, was er als nächstes tun sollte. Sollte er in die Stadt zurückkehren und Alarm schlagen, oder sollte er Arang nachgehen? Wenn die Nomaden Arang gefangengenommen hatten, dann würden sie ihre Beute möglichst bald zu Vlahan zurüccbringen. Wenn er sich jetzt nicht an ihre Verfolgung machte, würde er sie vielleicht nie mehr einholen – aber welche Chance hatte er ohne ein Pferd? Ein Mann zu Fuß konnte es unmöglich mit berittenen Kriegern aufnehmen. Sie konnten sich fünfmal so schnell bewegen wie er; sie konnten ihn umreiten, ihn niedertrampeln und töten, bevor er auch nur dazu kam, seinen Speer zu heben.
Als Stavan erkannte, daß er Arang nichts mehr nützen würde, wenn er tot war, entschloß er sich schweren Herzens, doch besser erst nach Shara zurückzukehren. Dort wollte er sich ein Pferd besorgen und vielleicht sogar versuchen, eine Gruppe junger Männer und Frauen zusammenzustellen, bevor er sich an die Verfolgung der Krieger machte. Ein paar der Sharaner konnten einigermaßen reiten, obwohl keiner von ihnen ernsthaft zu kämpfen verstand.
Die Frage war: Würden sie eher eine Belastung für ihn sein als eine Hilfe? Unerfahrene Krieger hatten es so an sich, unmittelbar getötet zu werden, wenn es zu einem Kampf kam. Die Sharaner waren zwar mutig, aber konnte er sich darauf verlassen, daß sie nicht in Panik gerieten?
Er stampfte ungeduldig mit dem Fuß auf und dachte verärgert, wenn Großmutter Lalah auf ihn gehört und ihn ein paar Krieger hätte ausbilden lassen, um die Stadt im Notfall zu verteidigen, würde er sich jetzt nicht mit einer Horde unerfahrener Bauern herumschlagen müssen, um Jagd auf Arangs Entführer zu machen. Aber Lalah und der gesamte Ältestenrat waren entsetzt gewesen bei dem Gedanken, er könnte junge Leute im Töten unterweisen. Noch Wochen, nachdem er den Vorschlag geäußert hatte, hatten ihn die Leute schief angeguckt; und selbst Marrah, die die Nomaden aus erster Hand erlebt hatte und es eigentlich besser wissen könnte, hatte ihm einen langen Vortrag über die Heiligkeit und Unantastbarkeit menschlichen Lebens in den Ländern der Muttergöttin gehalten.
Stavan verstand durchaus, worauf sie hinaus wollte: Wenn die Sharaner kämpften, riskierten sie, genau die Werte zu zerstören, die sie zu verteidigen suchten. Aber was gedachten sie denn sonst zu tun? Wie die Schafe herumsitzen, während sich die Hansi auf sie stürzten?
Verteidige dich, und du wirst all das verlieren, woran du glaubst. Was für ein Dilemma! Sein Kopf schmerzte von der Anstrengung, eine Lösung zu finden. Ich bin ein praktischer Mann, dachte er schließlich. Die Sharaner sind große Redner. Sollen sie diese Dinge doch in einer ihrer vielen Ratssitzungen entscheiden. Das einzige Problem, das
mich
im Moment interessiert, ist, wie ich Arang aus der Gewalt seiner Entführer befreien kann, ohne daß mein Kopf am Ende auf einer Speerspitze thront. Wer kann mir helfen? Auf wen kann ich zählen?
Die einzigen Personen, die Stavan einfielen, waren Frauen: Hiknak, die wie ein Mann reiten und kämpfen konnte, und Dalish, die die Nomaden derart haßte, daß sie jede Gelegenheit beim Schopf ergreifen würde, um sich an ihnen zu rächen.
Mit Marrah stand es etwas anders. Sie konnte zwar wie ein Dämon reiten, aber in einem offenen Kampf würde sie nicht lange durchhalten, und Stavan gefiel die Idee nicht sonderlich, Keru und Luma gestehen zu müssen, daß er mit ihrer Mutter ausgeritten war und sie dabei den Tod gefunden hatte. Dennoch, trotz all ihrer Reden über die Heiligkeit des Lebens könnte Marrah sich weigern, in Shara zu bleiben, wenn sie erfuhr, daß Arang gefangengenommen worden war.
Stavan marschierte weiter, schmiedete Pläne, ohne jedoch in seiner Wachsamkeit nachzulassen. Seinen scharfen Augen entging nichts – keine Vogelspur, kein umgedrehter Stein, kein Hauch von Wind, aber innerlich war er von unguten Vorahnungen erfüllt. Arang, dachte er bedrückt, Arang, mein Freund, bist du wirklich noch am Leben, oder habe ich die Spuren falsch interpretiert? Jedesmal, wenn er daran dachte, wie Arang überwältigt worden war, fühlte er sich
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