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Alteuropa-Trilogie 2 - Die Schmetterlingsgöttin

Titel: Alteuropa-Trilogie 2 - Die Schmetterlingsgöttin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Mackey
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lag am Ufer, halb im Wasser und halb im Schlamm, als hätte sie beschlossen, sich schlafen zu legen, mit den Füßen im Wasser. Auf den ersten Blick deutete nichts darauf hin, daß irgend etwas nicht mit ihr stimmte, abgesehen von einem kleinen Bluterguß auf der Stirn, nicht größer als eine Kirsche – doch in dem Moment, als Stavan den blauen Fleck sah, wußte er, daß die Nomaden sie überrumpelt und getötet hatten.
    Einen Moment stand er reglos da, mit Keshna in seinen Armen, und blickte auf Hiknak herunter. Keshna mußte sich bemüht haben, ihre tote Mutter aus dem Wasser zu ziehen, denn ihre schlammigen kleinen Fußabdrücke waren überall auf dem Boden. Hiknaks Hände lagen ordentlich auf ihrer Brust zusammengefaltet, und zwischen ihre Finger hatte das Kind ein kleines Sträußchen gelber und weißer Blumen geschoben.
    Stavan schloß die Augen und murmelte ein Hansi-Gebet für die Toten. Es war das Gebet, das am Grab von Kriegern gesprochen wurde, da es keine Gebete für Frauen gab, und es wünschte Hiknak eine sichere Heimkehr ins Paradies.
    Er stellte Keshna auf die Füße und nahm sie bei der Hand. Sie hatte inzwischen aufgehört zu weinen und war in ein dumpfes, hoffnungsloses Schweigen versunken, ihre großen, dunklen Augen weit aufgerissen und von einem derart qualvollen Ausdruck erfüllt, daß es Stavan fast das Herz brach.
    »Hab keine Angst«, flüsterte er zu ihr hinab. Seine Stimme zitterte, und das überraschte ihn, denn er war dem Tod schon viele Male begegnet – aber noch keiner hatte ihn so bis ins Innerste erschüttert wie dieser. Er erkannte, daß er Hiknak geliebt hatte –nicht auf die Art, wie Arang sie liebte, sondern so, wie er einen Bruder geliebt hätte. Das nämlich war Hiknak für ihn gewesen. Keine Schwester, weil seine Schwestern niemals so tapfer an seiner Seite gekämpft hätten, wie Hiknak es getan hatte. Sie war klein und zäh gewesen, und er kannte keine Frau, die auch nur einen Bruchteil ihrer Courage besaß, abgesehen von Marrah.
    Während er auf Keshna hinunterblickte, sah er die Ähnlichkeit mit Hiknak und Arang in ihrem Gesicht. »Hab keine Angst«, wiederholte er sanft. »Ich bin ja bei dir, dein Onkel Stavan, und ich werde auf dich aufpassen.«
    Falls Keshna ihn gehört habe, gab sie doch kein Zeichen von sich. Sie zog ihre Hand aus seiner, hockte sich auf den Boden, schlang die Arme um ihre Knie und vergrub ihr Gesicht. Er unternahm noch einige weitere Versuche, sie zu trösten, und gab es schließlich auf. Laß sie in Ruhe, sagte er sich. Laß die Kleine in Frieden trauern. Sie hat wahrhaftig Grund genug.
    Er ging hinüber zu Hiknak, kniete sich neben sie und legte behutsam eine Hand auf ihr Gesicht. Er hatte vorgehabt, ihr die Augen zu schließen, aber sie waren bereits zu. Gerade noch dachte er, daß Keshna wirklich an alles gedacht hatte, als er plötzlich sah, wie sich Hiknaks Brust kaum merklich hob. Konnte es sein, daß sie noch lebte? Hastig preßte er ein Ohr an ihre Brust, und zu seinem Erstaunen hörte er ihr Herz klopfen. Sie war nicht tot! Bei Han, sie lebte! »Keshna!« brüllte er. »Keshna, komm her!« Doch als er sich nach der Kleinen umdrehte, war sie verschwunden. Verdammt! Wohin, im Namen von tausend Dämonen, war sie gegangen? Nun, es blieb keine Zeit, sich lange mit der Suche nach dem Kind aufzuhalten. Er verfluchte die Götter für seine Zwangslage, sich entweder um ein verschwundenes Kind oder eine sterbende Frau kümmern zu müssen. In wilder Hast zog er Hiknak ganz aus dem Fluß, drehte sie herum, drückte kräftig auf ihren Rücken, um das Wasser aus ihren Lungen zu pressen, rief laut ihren Namen, rieb ihre Handgelenke, bespritzte sie mit kaltem Wasser, schlug ihr sogar ins Gesicht – aber sie erwachte nicht aus ihrer Ohnmacht. Und Keshna war noch immer nicht zurückgekommen.
    »Keshna!« brüllte er abermals. »Wo bist du? Ich brauche deine Hilfe!« Plötzlich spürte er, daß das Kind direkt hinter ihm stand, aber er war zu intensiv mit Hiknak beschäftigt, um aufzublicken. Rasch streifte er seine Tunika ab, warf sie Keshna zu und sagte: »Falte das zu einem Kissen zusammen, damit ich es ihr unter den Kopf schieben kann.«
    Keshna machte keine Anstalten, die Tunika aufzuheben. Mit einem gequälten Seufzer erinnerte sich Stavan daran, daß sie demnächst erst vier Jahre würde.
    »Laß nur«, winkte er ab. »Ich werde es tun.« Als er sich umdrehte, um seine Tunika aufzuheben, sah er, daß Keshna ihm schweigend etwas hinhielt. Es war ein

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