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Alteuropa-Trilogie 2 - Die Schmetterlingsgöttin

Titel: Alteuropa-Trilogie 2 - Die Schmetterlingsgöttin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Mackey
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schuldig. Irgendwie hätte er in der Lage sein sollen, ihn zu retten. Er hätte fähig sein müssen, die Nomaden abzuwehren, auch wenn sie nur zu zweit gewesen waren und völlig überrumpelt von dem Angriff.
    Bald kam Stavan an den Fluß, doch statt offen am Ufer entlangzugehen, wie er es normalerweise getan hätte, hielt er sich dicht an den Büschen. Inzwischen hatten die Fährtensucher sicher aufgegeben; aber ein Mann lebte länger, wenn er immer darauf gefaßt war, überall auf Feinde zu stoßen.
    Er folgte dem Ufer, bis er zu einer Stelle kam, wo Weidenruten über das Wasser hingen und mit ihren dichtbelaubten Ästen einen grünen Schirm bildeten. Den Speer fest in der rechten Hand, glitt Stavan so leise in das Wasser, daß die Schildkröten, die sich auf einem Felsen in der Nähe sonnten, nicht einmal den Kopf hoben. Die Strömung riß ihm beinahe den Speer aus der Hand, aber er war ein ausgezeichneter Schwimmer und schaffte es bis zum gegenüberliegenden Ufer, ohne einmal zum Luftholen auftauchen zu müssen.
    Gerade als er sich ans Ufer gezogen hatte und wieder einigermaßen Luft bekam, hörte er ein Geräusch, das ihn hastig aufspringen ließ. Direkt vor ihm bewegten sich die Büsche – und zwar nicht durch den Wind, denn die Luft stand vollkommen still. Er beobachtete, wie die Zweige ganz leicht schwankten, und kam zu dem Schluß, daß ihn einer der Kundschafter schließlich doch aufgespürt haben mußte. Es konnten nicht zwei sein, denn in dem Fall hätten sie ihn bereits angegriffen.
    Er erkannte sofort, daß er im Vorteil war. Der Kundschafter konnte nicht auf ihn schießen, ohne aus seinem Versteck zu kommen, weil in dem Gebüsch kein Platz war, um einen Bogen zu spannen. Höchstens einen Speer konnte er werfen, aber wenn er einen besessen hätte, wäre der inzwischen auf ihn geschleudert worden.
    Stavan schlich sich vorsichtig an die Büsche an. Sie waren derart dicht mit Brombeerranken und Dornen überwuchert, daß man sich dort drinnen kaum einen Mann vorstellen konnte; aber er war nicht bereit, leichtsinnig darauf zu vertrauen, daß die Bewegungen von einem Tier stammten. Außerdem bestand immer die Möglichkeit, daß eine Löwin darauf wartete, sich mit einem Satz auf ihn zu stürzen.
    »Komm heraus«, zischte er auf hansi. Das Gebüsch hörte abrupt zu zittern auf. »Komm heraus, du feiger Bastard! «
    Stavan machte noch einen Schritt vorwärts, plötzlich teilte sich das Gebüsch, und etwas sprang auf ihn zu. Stavan war schnell. Noch bevor er wußte, was ihn da eigentlich angriff, hatte er seinen Speer mit aller Kraft auf die Stelle geschleudert, wo das Herz eines Mannes sitzen würde; doch der Speer verfehlte sein Ziel, denn das Ding, das ihn angriff, war kein Mann. Es war eine Kugel weißen Fleisches, die sich schreiend und beißend und kratzend auf ihn stürzte und ihn ansprang wie ein Bärenjunges.
    »Keshna! « schrie Stavan erschrocken. Er packte das kleine Mädchen an den Armen und versuchte, es von sich abzuhalten; aber die Kleine hörte nicht auf, sich heftig gegen ihn zu wehren und zu schreien – keine Worte, nur schrille, unzusammenhängende Laute, wie ein Tier, das in der Falle saß. Ihre Augen waren wild vor Panik, und sie trat beißend und kratzend wie eine Wahnsinnige um sich.
    »Keshna«, bat er, »Keshna, hör auf. Ich bin's doch, Onkel Stavan.« Aber sie war wie von Sinnen vor Angst, und er mußte ihr Arme und Beine fest an den Körper pressen, bevor er sie beruhigen konnte. Schließlich schien sie ihn zu erkennen. Mit einem verzweifelten Aufschrei barg sie ihr Gesicht an seiner Schulter und begann zu schluchzen. Er saß da, wiegte sie sanft in seinen Armen, während er sie zu beschwichtigen versuchte, doch sie hörte nicht auf zu weinen. Ihr Schluchzen hatte nichts Kindliches an sich; ihre Verzweiflung war so abgrundtief wie die eines Erwachsenen und schüttelte ihren Körper.
    Stavan fühlte sich ganz elend. Es hätte nicht viel gefehlt, und er hätte ein Kind getötet! Eine knapp Vierjährige. Seine eigene Nichte. »Keshna«, bettelte er, »bitte sprich mit mir. Sag mir, was passiert ist. Warum bist du ganz allein hier im Wald? Wo ist Hiknak? «
    Aber Keshna war nicht zum Sprechen zu bewegen. Sie gab nur immer wieder jene seltsamen, tierähnlichen Wimmerlaute von sich, wie ein Kaninchen, das die Schlinge um seinen Hals fühlt, und als er sich mit dem Kind auf den Armen auf die Füße erhob und das Gebüsch teilte und sah, was sie bewacht hatte, wußte er auch, warum.
    Hiknak

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