Althea - Das Erwachen
wütend aus.
„He, wofür war das denn?“, fragte ich sie erbost.
„Das war dafür, dass du fast gestorben bist“, meinte sie ziemlich kühl.
Ich lächelte sie an, ein wenig verlegen, ihre Sorge um mich tat jedoch gut. Wir liefen gemeinsam in Richtung Osttor, wir konnten uns schon vorstellen, wo der Alarm her kam und was der Grund war. Die Ork suchten Rache für ihren Turm und ihre toten Kameraden. Die Wälle besetzten sich langsam mit Soldaten, die Türme mit Magiern. Sabine blieb bei mir. Ich blickte sie erstaunt an.
„Musst du nicht auf einen Turm?“
Sie sah mich immer noch ein wenig wütend an.
„Vergiss es. Mein Platz ist an deiner Seite. Leb damit.“
Ich war wie vom Donner gerührt und blieb stehen. Mein Herz zog sich zusammen. Sie zwinkerte mir zu, nahm meine Hand und zog mich weiter.
„Nun komm schon, wir haben einen Job zu erledigen.“
Ich schob alles beiseite und konzentrierte mich darauf, an der Leiter den Palisadenwall hinaufzuklettern, ohne dabei herunterzufallen. Oben angekommen, wich mir das Blut aus dem Gesicht. Die Ork hatten sich schlachtbereit aufgestellt.
Ich fühlte es im Wind und in der Erde, alles um mich herum rief mir zu, dies war die Stunde der Entscheidung. Ich erlebte einen Moment unglaublicher Klarheit. Ich wusste plötzlich, dies war nicht das Ende, dies war der Anfang. Es war der Anfang eines Konfliktes, der beiden Seiten nichts als Leid und Tod einbringen würde. Eine Seite würde heute als der Sieger aus der Schlacht um Riem herausgehen. Einen Gewinner würde es aber nicht geben, nur Verlierer. Eine Träne lief mir die Wange herunter, als ich aus meiner Vision erwachte.
Ich hatte noch etwas gespürt. Ich würde noch sehr viele Lebewesen vom Angesicht dieser Welt wischen müssen, ich würde noch viele Tode verursachen und ihre Last zu tragen haben, einen Teil davon noch heute. Ich ertrug den Gedanken daran kaum, wie konnte man nur so etwas tun, wie konnte man nur so viel Schuld auf sich laden? Ich fiel auf die Knie, ich bemerkte schemenhaft, dass Sabine sich über mich beugte und mich im Arm hielt. Sie rief mir etwas zu, was ich nicht verstand.
‚Das ist der Grund, deshalb halten wir uns heraus, Althea. Du hast bereits mehr Schuld auf dich geladen als jeder andere Drache von uns. Wir ertragen es einfach nicht, so viel Tod, all dieses Leid der Sterblichen. Wende dich von ihnen ab, komm mit mir. Lass sie ihre Kriege ohne uns austragen.‘
Ich hörte die Worte und die Stimme von Elida. Ich wusste, sie hatte recht. Ich fühlte Sabines Nähe und ihre besorgte Stimme und wusste auch, dass ich keine andere Wahl hatte. Ich hatte den Tod so oft vor Augen gehabt, er hatte für mich ein wenig seines Schreckens verloren. Eigentlich war ich schon tot, gestorben unter einem Baum am Waldrand, getötet durch ein Dumdum-Geschoss. Elida hatte mich ein paar Monate zu spät gefunden. Irgendwann würden all die Wunden meiner Seele zu viel für mich werden und dann würde ich diese Welt verlassen müssen. Wenn die Schuld zu viel wurde und zu viel Blut geflossen war, dann war auch meine Zeit gekommen. Ich würde niemals meine Völker im Stich lassen. Nicht Sabine, nicht Jaritha, nicht Hans, nicht Georg, Christian, Petra, Gerda, Anton, Manfred, und wie sie alle hießen. Auch Elida nicht. Es waren alles meine Leute, es war mein Volk, alle von ihnen.
In diesem Moment wusste ich endlich, ich hatte gefunden, wonach ich gesucht hatte.
Mein Volk.
Meine Heimat.
Mein Leben.
Meine Bestimmung.
Es waren alle ehemaligen Menschen, denen ich meine Treue schuldete. Menschen, die sich dem Guten gewidmet hatten und nicht die Zerstörung suchten. Eines Tages würde ich auch die Rechnung dafür zahlen müssen.
Aber jetzt noch nicht.
Jetzt noch nicht.
Also stand ich auf, und stellte mich erhobenen Kopfes zwischen Hans, Christian und Sabine. Ich hatte keine Zweifel mehr, ich musste tun, was ich tun musste.
Ich war, wer ich war.
Ein Drache, Althea, eine Freundin der Elfen, Menschen und Zwerge.
Ein Geschöpf der neuen Welt.
Eine Frau.
Ein Mädchen.
Eine Kämpferin.
Und irgendwo tief in mir, da war auch noch ein Mann, der Sysadmin, der IT-Experte, der Mensch der alten Welt, die 40 Jahre Erfahrungen aus einem anderen Leben, die mir jetzt nur noch wenig nützten.
Ich lächelte, umschlang Hans und Sabine und drückte sie an mich. Dann ließ ich sie los, zog mein Schwert und machte mich bereit für den Kampf. Die Ork hatten große Trommeln, die jetzt ihre Stimme erhoben. Kriegstrommeln, laut und drohend. Die Wirkung blieb bei
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