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Altoetting

Altoetting

Titel: Altoetting Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sobo Swobodnik
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immer. Nur Arno war so nervös, als ob er völlig neben sich stünde. Was natürlich gar nicht unverständlich war bei dieser Prophezeiung. Alle anderen Laienspieler waren zwar ebenfalls angespannt, aber weniger wegen Arno, sondern vielmehr wegen der bevorstehenden Premiere. Das ist mal wieder typisch. Im Extremfall ist jeder mit sich selbst am meisten beschäftigt. Pater Manuel war vielleicht noch der Nervöseste neben Arno. Niederbühler war dagegen die Ruhe in Person. Es war erstaunlich, dass Niederbühler, obgleich er schon vor dem Generalprobenbeginn mehrere Weißweinschorle intus hatte, während der ganzen Probe nicht eingenickt ist. Vielleicht ging ihm ja die ganze Zeit über eine Ahnung durch den Kopf, dass da jetzt was ganz Besonderes passieren könnte. Bis dahin musste aber noch bis zum Abendmahl durchgehalten werden.
    Plotek kämpfte sich eisern durch. Er machte alle Blinde sehend und alle Lahmen wieder gehend, und auch darüber hinaus heilte er alles, was irgend ging. Auch die Jünger, die Jungfrau Maria und Maria Magdalena waren ganz tapfer, zwar nicht gut, jetzt in Bezug auf die Schauspielleistung, aber in so einer Phase geht es nicht mehr um gut oder schlecht, sondern nur noch ums Laufenlassen, ums Durchkommen, ohne größere Hänger und Unterbrechungen. Deshalb war auch Niederbühler nicht am Flirten, auch nicht am Schäkern, sondern still wie ein Grab. Es war ein ungeschriebenes Theatergesetz, dass bei der Generalprobe der Ernstfall geprobt werden muss. Die Premiere sollte wenigstens einmal ohne Unterbrechung vorweggenommen und das ganze Stück von Anfang bis zum Schluss durchgespielt werden. Es musste alles haarklein so gemacht werden, wie es auch 24 Stunden später vorgesehen war. Bis zum Judas-Missgeschick lief alles planmäßig.
    Bei der Verwandlung von Brot und Wein gab es dann eine kurze Unachtsamkeit vom Judas und schon war’s passiert. Arno war sicher mit seinen Gedanken wieder beim Fälligkeitsdatum und nicht richtig bei der Sache. Die Folge waren mangelnde Konzentration und ein dummer Fehler. Arno hatte die Stufen zum Altar offenbar unterschätzt, oder sich mal wieder überschätzt, keine Ahnung, auf jeden Fall – hoppala! – ist er gestolpert und an den Altar gedockt. Der war natürlich nicht mal halb so stabil, wie er aussah. Also nichts mit Marmor oder Felsgestein, sondern Sperrholz und Pappmaschee, so dass der folglich wackelte wie ein alter Kuhschwanz. Der Kelch und der Tabernakel zitterten darauf, als stünde jetzt der ganze Altar inklusive Plotek als Jesus unter Strom. Das war, zumindest auf den ersten Blick, eigentlich nicht weiter schlimm und auch sofort wieder vorbei. Auf den zweiten Blick aber war der Bartholomäus dahin. Dazwischen lag die Verwandlung von Brot in Leib und die Speisung der Jünger. Da sieht man mal wieder, wie das eine mit dem anderen zu tun hat und alles irgendwie immer zusammenhängt. Ein Schmetterlingsflügelschlag in China und schon sind das Elefantensterben in Afrika und der Rumpler von Arno in Altötting die Folge. Durch den Rumpler sind die zwölf aufeinandergestapelten Hostien, quasi der symbolisierte Leib Christi, im Tabernakel umgekippt und durcheinandergeraten. Das ist im Prinzip nicht weiter schlimm. Aber in diesem Fall war es tödlich, wie am Bartholomäus zu erkennen ist. Nach der Verwandlung von Brot zum Leib und von Wein zum Blut fand also die Speisung der Jünger statt, soll heißen, die heilige Kommunion, also der Sakramentsempfang.
    »Das ist mein Leib!«, hat Plotek ganz feierlich deklamiert.
    Zuerst zum Petrus.
    »Gelobt sei Jesus Christus!«
    Petrus dann: »Amen!«
    »Das ist mein Leib!«, zum Jacobus.
    »Amen!«
    Dann waren Johannes, Andreas, Matthäus, Philippus, Thomas, Simon und Thaddäus dran, schließlich als Vorletzter Bartholomäus, »Amen!«, und zuletzt, wie immer, Judas.
    »Das ist mein Leib!«
    »A. . .«
    Als Arno gerade Jesus antworten wollte, fing der Bartholomäus neben ihm schon an, das Gleichgewicht zu verlieren. Zuerst ist ihm Schaum aus dem Mund gequollen wie bei zu viel Spüli, dann haben die Augen geschaut wie scharfe Messer. Anschließend hat sich das Gesicht von bleich zu knallrot wie ein abgebrühter Krebs verfärbt. Dann kam Würgen, Röcheln, Husten und ein blaues Gesicht. Danach ist er getorkelt, gefallen und dann war er tot. Der Bartholomäus lag tot auf der Bühne vor der Basilika von Altötting. Arno hat jetzt gezittert wie mit den Beinen in einem Toaster. Er hat sofort ins Judaskostüm gegriffen und zur

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