Altraterra. Band 1: Die Prophezeiung (German Edition)
eine halbe Stunde geritten, als Miraj plötzlich sagte: „Sieh nur, von hier aus kannst du mein Haus erkennen.“ Und Anne erlebte zum zweiten Mal an diesem Tag eine große Überraschung. Das war kein Haus, dies war eine geradezu schlossartige Villa! Ihr fiel ein, dass ihr wiederkehrender Traum bereits den Anschein erweckt hatte, Miraj sei reich. Dieser Teil schien zumindest wahr zu sein. Als sie näher ans Haus kamen, sah Anne, dass sich draußen einige Leute aufgereiht hatten – offensichtlich Bedienstete. Anne erinnerte sich, dass Miraj gesagt hatte, ihre Hilfe im Haushalt würde wohl nicht nötig sein. Nun verstand sie, wieso. Sie hielten vor dem Haus und ein Mann sprang herbei, um Anne vom Pferd zu helfen. Dann führte er die Tiere in die Scheune. Ein weiterer Mann reichte Miraj einen Becher, offensichtlich ein Willkommenstrunk. Soweit Anne sah, handelte es sich bei Mirajs Bediensteten vorwiegend um Menschen. Nur eine noch recht junge Grünmagierin, mit langem schwarzen Haar und violetten Augen, konnte sie ausmachen.
Miraj ging auf die etwas abseits Stehende zu und begrüßte sie mit den Worten: „Du bist noch hier, Jana?“ Sie strahlte ihn an. Anne spürte einen Stich. Hatte Miraj womöglich doch eine Freundin? Miraj winkte Anne heran. „Anne, dies ist Jana, eine ehemalige Studentin von mir. Sie ist heute meine Assistentin an der Universität und gelegentlich hier, um mir bei Forschungsarbeiten zu helfen. Jana, Anne ist die Schwester von Henri. Sie wird vorläufig hier wohnen. Könntest du ihr wohl einige Kleidungsstücke abtreten, die du nicht mehr benötigst? Wir mussten ihr Zuhause überstürzt verlassen und sie besitzt nichts als das, was sie trägt.“ Jana sah sie prüfend an. Anne glaubte, in ihren Augen etwas wie verhaltene Eifersucht zu erkennen, war sich jedoch nicht sicher. „Natürlich“, erwiderte Jana. Ihr Ton ließ nicht merken, was sie empfand. Vermutlich eine typische Grünmagierin, dachte Anne ein wenig gehässig. „Ich komme morgen wieder hierher, mit einem Bericht, was sich während Ihrer Abwesenheit ereignet hat, Professor.“ Zu Anne gewandt ergänzte sie: „Und mit den Kleidern.“ – „Danke, Jana“, sagte Miraj und schob Anne weiter zu einer dicken, resolut aussehenden Frau. „Anne, dies ist meine Haushälterin Gisalen. Sozusagen der gute Geist in diesem Gebäude.“ Miraj lächelte. „Würden Sie unserem Gast wohl ein Bad einlassen und ihr ein sauberes Nachthemd hinlegen? Lassen Sie auch bitte eins der Gästezimmer herrichten. Wir haben eine anstrengende und unerfreuliche Reise hinter uns. Anne soll es hier so bequem wie möglich haben.“ Zu Anne sagte er: „Wir sehen uns beim Essen.“ Dann wandte er sich zum Haus.
„Folgen Sie mir, junge Frau“, machte Gisalen zum ersten Mal den Mund auf und ging mit gewaltigen Schritten voraus. Anne lief hinter ihr her, eine Treppe hoch und über einen langen Flur. Hier öffnete Gisalen eine Tür. „Dies wird Ihr Schlafzimmer. Sehen Sie sich um, entkleiden Sie sich und kommen Sie dann ins Bad nebenan. Ich lasse Ihnen schon einmal das Wasser ein. Während wir dort sind, wird das Zimmermädchen hier alles vorbereiten.“ Mit diesen Worten schloss sie die Tür und ließ Anne allein. Die ließ sich erst einmal aufs Bett fallen, sprang dann aber sofort wieder auf, weil sie die frische Bettwäsche nicht mit ihrem dreckigen Nachthemd beschmutzen wollte. Erst jetzt merkte Anne, wie müde sie war. Die letzten Tage waren so voller Ereignisse gewesen, dass sie einiges zu verdauen hatte. Sie würde heute Nacht sicher tief und fest schlafen. Sie sah sich ein wenig im Zimmer um, das neben dem großen Bett einen Kleiderschrank, einen Nachttisch und ein leeres Bücherregal beinhaltete. Außerdem gab es einen kleinen Frisiertisch, auf dem sich Utensilien wie Creme, ein Spiegel und saubere Tücher befanden. Anne seufzte wohlig auf, endlich würde sie wieder ein Minimum an Komfort haben. Dann musste sie lachen. Ein Minimum? Sie fühlte sich wie eine Prinzessin in diesem riesigen Haus und nicht mehr wie ein Bauernmädchen.
Als sie ihr lumpiges Nachthemd ausgezogen hatte, ging sie in den Nebenraum. Dort fand sie Gisalen und eine üppige Badewanne voller heißem Wasser und wahren Schaumbergen vor. Zu Annes Erstaunen kam das Wasser direkt aus einer Leitung in die Wanne geströmt. War hier Zauber am Werk? Bei sich daheim hatte Anne nur selten gebadet – und dann hatte sie dafür unzählige Eimer heranschleppen und es über dem Feuer erwärmen
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