Alvion - Vorzeichen (German Edition)
Meer. Es dauerte lange, bis sich das Beben wieder legte, mir schien es wie eine Ewigkeit, doch je mehr sich das Beben legte, desto stärker schwoll das düstere Grollen an. Ich wurde von meinem Vater am Arm gepackt und hochgerissen. Er zerrte mich auf den Steg hinaus, wo unser Boot festgemacht war, das heftig in den Wellen schaukelte. Der Steg hatte bereits eine heftige Schräglage, sodass es nicht gerade leicht war, zum Boot zu kommen. Als Erster sprang ich hinein, dann folgten Lyria und meine Mutter, während mein Vater das Seil löste. Dann stieg er zu uns ins Boot und stieß es vom Steg ab, ich war schon dabei, das Segel aufzuziehen, wie er es mich gelehrt hatte. Zunächst schienen wir auf der Stelle zu verharren, dann aber merkte ich, wie sich das Boot langsam in Richtung Meer in Bewegung setzte. Ein erstes Mal fuhr ein heißer Windstoß aus dem Norden in unsere Rücken und das Segel, und sofort wurden wir beträchtlich schneller. Mein Vater hatte den Platz am Ruder übernommen und steuerte uns aus dem Hafen hinaus, ich setzte mich neben meine Mutter und blickte zurück auf Genia. Anscheinend waren die Bewohner der Stadt durch das letzte schwere Beben zutiefst erschreckt worden, denn überall am Hafen sah ich Dutzende in Panik durcheinanderlaufen und in die Boote und Schiffe springen. Alle wollten aus der Stadt heraus.
Ein Handelsschiff unter solischer Flagge, dessen Kapitän sich offenbar im letzten Moment dazu entschlossen hatte, nicht in den Hafen einzulaufen, wendete, und bevor es wieder Fahrt aufnehmen konnte, waren wir mit unserem kleinen Boot herangekommen. Mein Vater ging längsseits, während ich das Segel einholte. Dann stand er auf und hob seine Hand zur Begrüßung. Ein älterer Mann erschien an der Reling, sein Gesicht war sonnengebräunt und von Furchen durchzogen, aber seine Augen strahlten Freundlichkeit aus.
„ Seid mir gegrüßt, Lyraner! Kommt an Bord und fahrt mit uns, dann seid ihr schneller in Sicherheit! Euer Boot nehmen wir in Schlepp.“
Ohne eine Antwort abzuwarten, warf er meinem Vater eine Leine zu und dieser zögerte nur kurz, ehe er sie festmachte. Dann half er uns dabei, über eine Strickleiter auf das größere Schiff zu klettern. Ich blickte mich sofort neugierig um, denn auf einem so großen Schiff war ich noch nie gewesen. Kein kleines Segelchen, wie auf unserem Boot, sondern zwei große Masten mit leuchtend weißen Segeln, in der Mitte mit einem Wappen verziert, welches mir allerdings unbekannt war, jedenfalls war es nicht das Königliche. Das Schiff mochte etwa dreißig oder vierzig Schritt lang und fünfzehn Schritt breit sein, am Heck hatte es einen Aufbau, auf dem sich die Brücke mit dem Steuer befand. Eine Treppe führte aufs Achterdeck, daneben war eine Türe, die wohl zur Kapitänskajüte und zu den Quartieren der Mannschaft ins Innere des Schiffes führte. Zwischen den beiden Masten war eine große Luke, wo es wahrscheinlich hinunter in den Laderaum ging. Ich war so fasziniert von diesem Schiff, dass ich die Geschehnisse um mich herum vergaß, bis ich das Gespräch hörte, das der Kapitän mit meinem Vater führte. Während er ihm die Hand schüttelte, sagte mein Vater:
„ Habt Dank, werter Kapitän, dass ihr uns zu Hilfe kommt!“
„ Seid mir an Bord willkommen, es ist ein ungeschriebenes Gesetz der Meere, dass man dem Schwächeren oder in Not geratenen hilft. Mein Name ist Kapitän Rial und ihr befindet euch auf dem Handelsschiff Lana“, brummte der Kapitän in seinen langen, weißen Bart.
„ Dies sind meine Kinder, Alvion und Lyria und dies ist meine Frau Marana. Mein Name ist Verus, Verus Trey.“
Der Kapitän lächelte aufmunternd, als er mir, meiner Schwester und meiner Mutter die Hand schüttelte, denn offenbar stand uns die Angst deutlich ins Gesicht geschrieben. Dann wies er mit einer Hand einladend zur Brücke.
„ Ihr seid meine Gäste auf der Brücke. Kommt!“
Meine Mutter legte ihre Arme um mich und Lyria und führte uns, wie geheißen, auf die Brücke, danach folgten mein Vater und der Kapitän. Oben angekommen, riss ich mich von meiner Mutter los und stürmte auf die hintere Reling zu, und lehnte mich mit beiden Armen darauf. Gleich darauf war Lyria neben mir und wir betrachteten zusammen, die kleiner werdende Stadt und die riesigen Rauchsäulen, die immer noch von den Bergen aufstiegen und sich hoch über ihr zu einer gewaltigen Wolke vereinigten. Meine Eltern und der Kapitän blieben absichtlich ein paar Schritte zurück, damit sie sich
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