Am Ende der Treppe, hinter der Tür (German Edition)
Schriftzeichen stünden, wäre sie auch nicht ratloser.
Verdammt! Das hat ihr alles nur Jill eingebrockt. Nach ihrem Besuch gestern hat Martha zwar versucht, Mathe zu machen, aber eigentlich hatte sie nur ins Heft gestarrt und die ganze Zeit an etwas anderes gedacht. An diesen Homer, der ihr eine Mail geschickt hatte. Nicht ihr natürlich, sondern jemandem, der sich Godzilla nannte. Auf so einen dämlichen Namen hatte auch nur Jill kommen können.
Ich gehe doch recht in der Annahme, dass Sie Polizist sind und auf diese Art und Weise den Mörder in eine Falle locken wollen, nicht wahr? Ein ziemlich durchsichtiges Manöver, wenn Sie mich fragen.
Jill war begeistert gewesen. Sie hatte Martha an der Schulter gerüttelt. «Das ist er, wir haben ihn!»
Martha schreibt ihren Namen auf den Arbeitsbogen, sie kann ihn gleich abgeben, eine Sechs ist es sowieso. Scheiße, Scheiße, Scheiße!
«Unter deinem Stuhl!», flüstert Vincent hinter ihr.
Martha schielt nach unten, da liegt ein mehrfach zusammengefalteter Zettel. Sie atmet auf. Dann lässt sie einen Bleistift fallen und bückt sich.
«Was machst du da unten, Martha?» Herr Schwartz schlägt mit seinem Schlüssel gegen die Tischplatte.
«Mir ist nur der Stift runtergefallen.»
Martha hat den Zettel in ihren Ärmel geschoben und faltet ihn vorsichtig in ihrem Schoß auseinander.
Die ersten drei Aufgaben stehen da, komplett mit Rechenschritten und der Lösung. Der richtigen Lösung, natürlich. Vincent ist ein Mathe-Ass. Sie bemüht sich, nicht allzu deutlich auf den Zettel zu schielen, und überträgt sorgfältig Zahl für Zahl auf ihren Arbeitsbogen.
Es klingelt. Herr Schwartz klatscht in die Hände: «So, die Zeit ist um. Bitte alle abgeben. Keiner schreibt mehr etwas.»
«Auch nicht meinen Namen?», fragt Jill.
«Sehr witzig, Fräulein», knurrt Herr Schwartz und reißt ihr den Bogen aus der Hand.
Auf dem Weg die Treppe hinunter sagt Martha zu Vincent: «Du hast mich gerettet, danke. Ich hatte einen totalen Blackout.»
Vincent lacht. «Das war nicht zu überhören. Du hast so laut auf deinem Füller rumgebissen, dass ich dachte, gleich hat sie ihn durch.»
«Ich glaube, ich hätte nicht mal fünf plus fünf rechnen können.»
«Probleme?», fragt Vincent.
Martha schüttelt abwehrend den Kopf. «Nein, nein, mein Kopf war nur völlig leer. Kennst du das nicht?»
«Nicht in Mathe, mir geht’s so in Deutsch, wenn die Schädlich nach These und Antithese fragt.»
«Wie viel Aufgaben hast du denn richtig?», mischt sich Jill ein.
«Die ersten drei.»
«Dann ist es auf jeden Fall ’ne Vier.»
«Mehr will ich auch nicht.»
Jill hakt Martha unter und geht mit ihr über den Hof zum Tor. «Ich brauch erst mal ’ne Kippe.»
Sie zieht ein Päckchen Tabak aus dem Rucksack.
«Du drehst selbst?»
«Ist billiger», sagt Jill.
Martha wundert sich. Jill hat noch nie etwas getan, nur weil es billiger war.
«Was machst du eigentlich in den Ferien?», fragt Martha.
Jill zündet eine ziemlich krumme Zigarette an.
«Ich fliege nach London zu meinem Vater.»
«Allein?»
Jill hustet. «Verdammt, die Dinger sind viel zu stark. Ja, allein. Meine Mutter will in so ein Wellnessding, da störe ich nur.» Wieder hustet sie.
«Und was machst du?»
«Natürlich nichts», sagt Martha bitter. «Meine Mutter muss arbeiten, sie hat dieses Jahr keinen Urlaub mehr, ist im Sommer alles für den Umzug draufgegangen.»
«Komm doch mit», sagt Jill.
«Wie mit?»
«Na, ganz einfach, du buchst einen Flug, und wir vergnügen uns zwei Wochen in Swinging London. Du musst auch sonst nichts bezahlen. Wir wohnen bei meinem Vater, da ist Platz genug.»
«Meinst du wirklich?»
Martha wird ganz kribbelig vor Freude. Sie wollte immer schon nach London, aber selbst wenn Jill sie mit nach Kleinkleckersdorf nehmen würde, egal. Hauptsache weg vom Monster, weg von der Glatze!
«Kann aber sein, dass es so kurz vor den Ferien keine preiswerten Flüge mehr gibt», sagt Jill. «Am besten kümmerst du dich sofort darum.»
«Hast du denn schon gebucht?»
«Macht mein Vater, ich kriege seine Meilen.»
Nora stakst auf ihren Streichholzbeinen eilig über den Hof. «Habt ihr schon gehört? Miller hatte einen Autounfall.»
«Was?», ruft Martha entsetzt.
«Reg dich ab, er lebt ja noch», sagt Nora. «Ein Auffahrunfall, jetzt hat er ein Schleudertrauma oder so ähnlich.»
«Woher weißt du das alles?», fragt Martha, und Nora lächelt überlegen: «Tja, woher wohl …»
Martha möchte
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