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Am Ende war die Tat

Am Ende war die Tat

Titel: Am Ende war die Tat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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der Anrichte ab und wandte sich zu Joel um, der ihr in die Küche gefolgt war und zu einer Erklärung ansetzte. Aber sie unterbrach ihn, indem sie die Arme um seine Schultern legte.
    »Das war lieb von dir«, versicherte sie. Ihre Stimme klang ein wenig belegt. Sie war umgänglicher geworden, seit Dix regelmäßig bei ihnen auftauchte, dachte Joel, besonders seit dem Tag, da er sie alle mit zum Rainbow Café genommen hatte, damit sie seine Eltern kennenlernten, und seine Mum mit der heißen Vanillesoße zu ihrem Apfelkuchen so außerordentlich großzügig gewesen war.
    Kendra packte ihre Einkaufstüten aus. Sie hatte Currys beim Inder gekauft. »Wo ist Ness?«, fragte sie und rief dann die Treppe hinauf gegen die Stimmen aus einem Zeichentrickfilm an: »Mr. Toby Campbell? Komm auf der Stelle runter in die Küche! Hörst du mich?«
    Auf die Frage nach Ness antwortete Joel mit einem Schulterzucken. In den letzten Tagen war seine Schwester zwar häufiger zu Hause, aber sie war schweigsam und grüblerisch gewesen, wie eine Kreatur, die ihre Wunden leckt. Hin und wieder war sie auch mit Six und Natasha unterwegs gewesen, und Joel hatte keine Ahnung, wohin sie dann gegangen war. Seit gestern Abend hatte er sie nicht mehr gesehen.
    »Sie weiß doch, was für ein Tag heute ist, oder?«, fragte Kendra.
    »Ich nehm's an«, antwortete Joel. »Ich hab's ihr allerdings nich' gesagt. Ich hab sie nich' geseh'n.«
    »Nicht«, verbesserte Kendra.
    »Ich habe sie nicht gesehen. Du?« Er war noch Kind genug, um zu glauben, dass Kendra - die Erwachsene - etwas an dem Problem mit Ness ändern konnte.
    Seine Tante erriet seine Gedanken so mühelos, als hätte er sie ausgesprochen. »Was soll ich denn tun?«, fragte sie. »Sie einsperren? Ans Bett fesseln?« Sie holte Geschirr und Besteck aus dem Schrank und reichte es an ihn weiter.
    Joel deckte den Tisch.
    »Irgendwann kommt der Zeitpunkt, wo jeder selbst entscheiden muss, wie sein Leben aussehen soll, Joel. Ness hat diese Entscheidung getroffen.«
    Joel antwortete nicht. Was er dachte, konnte er nicht in Worte fassen. Er und Ness hatten viel durchgemacht. Er hatte Sehnsucht nach der Ness, die sie einmal gewesen war. Und er glaubte, dass auch sie selbst Sehnsucht nach dieser Ness hatte.
    Toby kam die Treppe herabgepoltert, die Lavalampe unter dem Arm. Er stellte sie mitten auf den Tisch und rollte das Kabel aus, um sie anzuschließen. Dann setzte er sich auf einen Stuhl, legte das Kinn auf die Hände und beobachtete die orangefarbenen Blasen auf- und absteigen.
    »Dein Lieblingsessen, Mr. Campbell«, eröffnete Kendra ihm. »Naanbrot mit Rosinen, Mandeln und Honig. Na, was sagst du?«
    Toby sah mit leuchtenden Augen zu ihr hinüber. Kendra lächelte, zog einen Briefumschlag mit drei ausländischen Marken aus ihrer Handtasche und reichte ihn Toby. »Sieht so aus, als hätte deine Gran deinen großen Tag auch nicht vergessen. Das hier kommt den ganzen weiten Weg aus Jamaika.« Sie verschwieg, dass sie ihre Mutter dreimal angerufen und ihr die Fünf-Pfund-Note geschickt hatte, die Toby in dem Umschlag finden würde. »Also, mach ihn auf, und lass sehen, was sie geschrieben hat!«
    Joel half Toby, die große Karte aus dem Umschlag zu ziehen, und hob dann den schlaffen Geldschein auf, der zu Boden gesegelt war. »Hey, guck dir das an, Tobe«, rief er. »Du bist reich!«
    Aber Toby interessierte sich mehr für das Polaroidfoto, das Glory mitgeschickt hatte: sie und George Arm in Arm, inmitten einer Gruppe von Fremden, Bierflaschen in die Höhe gereckt. Glory trug ein schulterfreies Top - keine allzu weise Entscheidung für eine Frau ihres Alters -, eine Baseballkappe mit der Aufschrift »Cardinals« und Shorts und war barfuß.
    »Scheint so, als hätte sie ihr Plätzchen gefunden«, bemerkte Kendra. »Wer sind all die Leute? Georges Familie? Und sie hat dir fünf Pfund geschickt, Toby! Das ist doch echt nett von ihr, oder? Was wirst du denn mit so viel Geld anfangen?«
    Toby strahlte und befingerte den Schein. So viel Geld hatte er noch nie zuvor im Leben besessen.
    Gerade als Joel überlegte, was er als Geburtstagsteller für Tobys Lieblingsessen hernehmen könnte - er entschied sich für ein verstaubtes Blechtablett mit einem aufgemalten Weihnachtsmann, das er unter zwei Kuchenformen und einer Rührschüssel hervorzog -, stieß Ness zu ihnen.
    Sie hatte Tobys Geburtstag also nicht vergessen. Sie überreichte ihm etwas, das, so behauptete sie, ein Zauberstab war. Er war aus durchsichtigem

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