Am Fluss des Schicksals Roman
Freitagnachmittag fuhren sie zurück nach Echuca. Joe war nicht entgangen, dass die Stimmung an Bord der Marylou erneut feindselig war. Francesca weigerte sich, mit Neal zu sprechen, und mied seine Gesellschaft, sofern das an Bord eines Schiffes möglich war. Neal wirkte zerstreut,sparte sich aber jeden Kommentar, was Francescas Verhalten betraf.
Nachdem auch Joe nicht aus Francesca herausbekam, was sie so sehr in Wut versetzt hatte, knöpfte er sich Neal vor.
»Ich habe ihr gesagt, dass ich kein Mann zum Heiraten bin«, antwortete Neal offen.
»Das hätte sie eigentlich nicht überraschen dürfen«, murmelte Joe und unterdrückte mühsam seinen Zorn. »Das habe ich ihr schon vor ein paar Wochen gesagt.« Er starrte Neal an. »Du hast aber doch nichts getan, das sie kompromittieren könnte ...?«
»Natürlich nicht, Joe«, beteuerte Neal. Er hatte niemals die Absicht gehabt, es so weit kommen zu lassen. Wenn er eine Frau haben wollte, gab es im Hafen mehr als eine, die ihm zu Diensten war. »Wir sind uns ein bisschen näher gekommen. Aber ich hatte doch keine Ahnung, dass sie an Heirat denkt, und an Kinder ...«
Francesca war nicht die erste Frau gewesen, die mit Zorn und Erbitterung reagiert hatte, nachdem Neal ihr gesagt hatte, keine Heiratsabsichten zu hegen. Doch bei Francesca war er zu weit gegangen. Schließlich war sie noch jung und leicht beeinflussbar, und sie hatte bei ihrem Techtelmechtel offensichtlich Feuer gefangen. Vor allem aber bereitete es Neal Gewissensbisse, dass er ihre Gesellschaft so sehr genossen hatte.
Gleich nachdem sie in Echuca festgemacht hatten, ging Francesca von Bord der Marylou. Sie wolle zur Bäckerei, sagte sie zu Joe. Als sie über den Pier schritt, fest entschlossen, Neal Mason möglichst weit hinter sich zu lassen, erblickte sie Lizzie Spender. Diese hatte Francesca ebenfalls bemerkt, blickte jedoch in die andere Richtung, als die jüngere Frau auf sie zukam.
»Hallo, Lizzie«, sagte Francesca und blieb neben ihr stehen.
Erstaunt wandte Lizzie sich um und vergewisserte sich kurz, ob sie beobachtet wurden.
»Hallo, Francesca«, erwiderte sie dann leise. »Sie sollten sich nicht auf offener Straße mit mir unterhalten, falls Sie Wert auf Ihren guten Ruf legen.«
Francesca hatte noch keinen Gedanken an ihren guten Ruf verschwendet, und auch jetzt ließ es sie völlig kalt.
»Ich verbringe meine Zeit, mit wem es mir gefällt«, sagte sie lächelnd. »Wie geht es Ihnen?«
»Ich kann mich nicht beklagen«, sagte Lizzie. »Aber das kümmert ja sowieso keinen.«
»Doch, mich«, widersprach Francesca.
Erstaunt sah Lizzie sie an. Die junge Frau hatte es offenkundig ernst gemeint. »Danke, Francesca, das ist sehr nett von Ihnen. Aber Sie sollten lieber gehen, bevor eine der hiesigen Frauen Sie sieht. Die können auf unsereins nämlich sehr boshaft reagieren.«
Francesca lag die Erwiderung auf der Zunge, dass es sie einen Dreck kümmere, musste dann aber an Regina Radcliffe und Monty denken. »Ich muss mich sowieso auf den Weg machen. Lizzie. Bis bald!« Francesca schenkte ihr ein freundliches Lächeln. Obwohl sie mit Bestürzung erkannt hatte, dass die Blutergüsse in Lizzies Gesicht noch nicht ganz verblasst waren, verkniff sie sich eine Bemerkung, da sie Lizzie nicht an das schreckliche Erlebnis erinnern wollte.
Auf dem Rückweg von der Bäckerei nahm Francesca die Abkürzung durch die schmale Gasse. Plötzlich sah sie, dass Neal Mason zusammen mit Lizzie Spender durch das Eingangstor des Bordells ging. Beide lachten fröhlich, und Neal legte den Arm um Lizzies Schulter, als sie sich ins Haus begaben. Francesca spürte einen Stich im Herzen. Es wollte ihr nicht in den Sinn, dass Neal solch oberflächliche Affären einer wahren Liebesbeziehung vorzog. Sie versuchte sicheinzureden, dass Neal tun könne, was ihm gefiel, doch die Vorstellung, dass er sich mit Lizzie oder einem der anderen Mädchen einließ, brach ihr fast das Herz.
Am nächsten Morgen rief Joe nach Francesca.
»Du hast Besuch«, teilte er ihr durch ihre geschlossene Tür mit.
Francesca öffnete. Joe fiel auf, dass sie den Eindruck machte, als habe sie nicht geschlafen. »Wer ist es, Dad?«
»Montgomery Radcliffe«, antwortete Joe, der eigentlich erwartet hatte, dass sie sich über diese Nachricht mehr freuen würde, als es den Anschein hatte.
Francesca fragte sich unwillkürlich, ob Neal Mason bereits an Bord war.
»Guten Morgen, Francesca«, grüßte Monty, als sie an Deck kam. Er war aufrichtig
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