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Am Freitag schwarz: Kriminalroman (German Edition)

Am Freitag schwarz: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Am Freitag schwarz: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Sears
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und zu einer Tolle aufgetürmt, die ihn an die zwei Zentimeter größer wirken ließ. Sein Schreibtisch stand auf einem kleinen Podest, vielleicht fünf Zentimeter hoch – das half ein wenig, nichtsdestotrotz war der Mann, als er aufstand, klein.
    Die Aussicht hinter ihm war, wie man sie sich in New York nicht schöner hätte wünschen können. Vierzig Stockwerke tiefer lagen der Hafen und die Lower Bay hingebreitet. Die Freiheitsstatue. Ellis Island. Die Verrazano Bridge. Die rostigen Überreste der Brooklyn-Navy-Werft. Im Osten erstreckten sich Brooklyn, Queens und die Ausläufer von Long Island, so flach, dass man meinte, die Krümmung der Erdoberfläche erkennen zu können. Im Westen war New Jersey zu sehen. Was sollte man dazu sagen.
    »Sie haben eine tolle Aussicht.«
    Er warf einen Blick über die Schulter, als stelle er jetzt erst überrascht fest, dass es dort etwas zu sehen gab. »Ich fürchte, ich habe nie so richtig Zeit dafür.«
    Dann setzte er ein einstudiertes Broadway-Lächeln auf. »Sie sehen gut aus, Jason.«
    Das tat ich nicht. Ich war älter geworden, grauer, mein Jackett war für meine derzeitige Statur eine Nummer zu klein,und meine geröteten Augen erzählten von einer Woche fast ohne Schlaf.
    Er sah gut aus. Unverändert. Vielleicht wartete er darauf, dass ich ihm das sagte. Ich sagte es nicht.
    »Und? Alles geregelt? Sind Sie so weit, dass Sie anfangen können?«
    Er fragte ganz unverblümt – direkt und in bissigem Ton. Ich kam mit einer Woche Verspätung. Er wollte keine vertraulichen Erklärungen, er wollte mich nur daran erinnern, dass ich ihm eine schuldete.
    Das gestand ich ihm zu. »Danke, dass Sie mir die Zeit gelassen haben. Jetzt bin ich da und bereit. Es kann losgehen.«
    »Mögen Sie in interessanten Zeiten leben. So lautet doch die chinesische Redensart, oder? Hoffen wir, dass dieses nächste Steuerpaket wieder etwas Ruhe in die Märkte bringt.« Die ganze Ansprache wirkte einstudiert.
    Ich glaubte nicht daran, dass das eine chinesische Redensart war. Vielmehr hielt ich es für einen aufgesetzten Spruch, zu sehr von Ironie durchzogen, um ehrlich gemeint zu sein. An der Wall Street hörte man ihn ständig, wenn die Märkte wieder einmal aus der Reihe tanzten. Ich hatte ihn selbst schon benutzt, während der vergangenen zehn Jahre allerdings bestimmt nicht mehr.
    »Danke noch mal, dass Sie bereit sind, uns in dieser Sache zu helfen. Sehen Sie es mir nach, wenn ich gleich auf den Punkt komme. Diese Angelegenheit hat das Potenzial, hochsensible Verhandlungen scheitern zu lassen. Dazu darf es nicht kommen. Ich brauche die Gewissheit, dass bei dieser Untersuchung nichts herauskommen wird. Und ich brauche sie gestern.«
    Falls das ein weiterer Seitenhieb wegen meines verspäteten Eintreffens sein sollte, so musste er viel härter zuschlagen, damit ich es überhaupt zur Kenntnis nahm.
    »Ich bin bereit«, wiederholte ich nur.
    Auf dem Schrank am Fenster standen gerahmte Bilder – Stockman mit Frau und Kindern. Die Frau war auf typisch mittelamerikanische Weise hübsch – gesund und blond. Die beiden Töchter sahen aus wie ihre Klone, sie waren vielleicht zwei, drei Jahre auseinander. Bei sämtlichen Aufnahmen schien die Kamera in erster Linie auf Stockman selbst gerichtet gewesen zu sein. Entweder stand er inmitten seiner Damen, oder die drei blickten bewundernd zu ihm auf. Alle Bilder zeigten ausschließlich die obere Körperhälfte, wobei Stockman seine Frau um eine Winzigkeit überragte. Er musste auf einer Kiste gestanden haben.
    »Brian Sanders«, erklärte er, in einem Ton, als kündige er die erste Seite einer PowerPoint-Präsentation an. »Die Küstenwache hat ihre Untersuchung des Falls offiziell abgeschlossen. Bei dem Tod des jungen Mannes handelt es sich um einen Unfall. Einen Unglücksfall.«
    Meine Aufgabe war es nicht, das Segelunglück zu untersuchen.
    »Ist es möglich, dass ich ihn gekannt habe?«
    »Das kann ich mir nicht vorstellen. Sanders ist von der Business School zu uns gekommen. Er stammte irgendwo aus dem Mittleren Westen. Kansas City?« Er sprach den Namen aus, als hätte ich ihn womöglich noch nie gehört. »Die Angehörigen können es offenbar immer noch nicht fassen. Wir auch nicht. Keiner von uns. Er war ein guter Trader. Bekannt. Beliebt. Er hätte hier eine lange, erfolgreiche Laufbahn vor sich gehabt.«
    »Sie haben ihn demnach gekannt?«
    Stockman hob die Brauen. »Ich? Nein. Ich gebe nur wieder, was seine Konsorten gesagt haben. Er scheint ein

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