Am Freitag schwarz: Kriminalroman (German Edition)
Thema nicht preisgeben.
Sie musterte mich erneut. »Dass du ein netter Kerl bist, glaube ich sofort. Das sagt sogar Roger, und der kann niemanden ausstehen. Aber nette Kerle sind verheiratet. Oder schwul. Was von beidem bist du?«
»Geschieden.«
Sie nickte resigniert. »Netter Kerl mit Ballast.«
»Und du, bist du geschieden?«, fragte ich.
Sie lächelte halbherzig. »Woran siehst du das?«
»Muss ein ziemlicher Fiesling gewesen sein.«
»Angenommen, wir würden hier sitzen und hätten die Wahl, ob wir über A, meinen Ex, oder B, deine Ex, reden – ich würde C nehmen, was auch immer es ist.«
Einen Augenblick schwiegen wir einfach und tranken. Ich war noch nicht bereit aufzugeben, aber es fehlte mir an einer neuen Idee.
»Ich bin nicht gerade ein Held, das weiß ich. Mir fehlt die Übung. Als ich das letzte Mal versucht habe, in einer Barmit einem Mädchen ins Gespräch zu kommen, ist mir nichts Besseres eingefallen als: ›Was ist dein Hauptfach?‹«
Sie lachte. Nicht glockenhell diesmal, sondern schallend. Dann musterte sie mich ein drittes Mal. Und fasste einen Entschluss.
»Na los, frag mich«, sagte sie.
»Lass mich raten. Komparatistik. Frühes zwanzigstes Jahrhundert. Amerikanische Literatur.«
Sie verzog das Gesicht und schüttelte den Kopf. »Was ganz anderes. Wie wär’s mit Physiotherapie? Nächstes Jahr im Mai habe ich meinen Doktor.«
Ich hatte nicht gewusst, dass man Doktor der Physiotherapie werden konnte, aber auch das behielt ich für mich.
Roger kam zurückgeschwankt und quetschte sich zwischen uns. »Mein Gott, du weißt ja nicht, wie das ist. Du bist ein junger Mann. Du wirst schon noch sehen. Den ganzen Tag lauf ich rum und hab das Gefühl, ich lege gleich los wie ein Rennpferd, und wenn ich dann gehe, bringe ich gerade mal ein paar Tropfen zustande. Hör auf mich, werd bloß nicht alt!«
»Deine Nieren machen ganz schön was mit«, sagte Wanda.
Roger seufzte. »Meine Nieren. Wir reden hier über meine Nieren. Rede ich vielleicht über deine Nieren? Gestehst du mir mal ein bisschen Privatsphäre zu?«
»Und du solltest mehr Wasser trinken«, fuhr sie fort.
»Du weißt, was W. C. Fields über Wasser gesagt hat.«
Sie zog ein angewidertes Gesicht. »Irgendwas darüber, was Fische darin machen.«
Roger schüttelte den Kopf. »Wasser kannst du nicht trauen ...«
»... sogar ein steifer Stock wird darin krumm«, beendete ich den Satz. »Einer der Lieblingssprüche von meinem Vater.«
»Dein Vater ist mir sympathisch«, erklärte Roger. »Ich freu mich schon darauf, ihn irgendwann mal kennenzulernen.« Er drehte sich zu Wanda um und flüsterte unüberhörbar: »Wie läuft’s denn mit euch beiden? Hat er dich schon zum Essen eingeladen?«
Sie flüsterte zurück: »Wir waren gerade kurz davor.«
Nun drehte er sich zu mir. »Ich hab ein gutes Wort für dich eingelegt, mein Freund. Jetzt kommst du.«
Ich räusperte mich und beugte mich vor. »Wenn ich verspreche, nicht über unsere Ex zu reden, gehst du dann mal mit mir essen?«
»Ich habe viel um die Ohren«, sagte sie.
Roger verdrehte die Augen.
»Sogar Doktoranden essen ab und zu«, erwiderte ich.
»Ich denke darüber nach.«
Da zupfte etwas an meinem Ärmel. Kid. »Münzen«, sagte er.
Mir war gar nicht aufgefallen, dass keine Musik mehr lief.
»Sekunde.« Ich lächelte Wanda an. Und diesmal fühlte es sich nicht so an, als müsste ich mir die Wangen verrenken.
»Das ist mein Sohn, Jason. Ich nenne ihn Kid. Sag Roger und Wanda Hallo, Kid.«
Roger knurrte. Der Junge knurrte zurück.
»Münzen.« Das Zupfen an meinem Ärmel wurde energischer.
»Gott, was für ein hübscher Junge«, sagte Wanda. »Hallo, Jason.« Sie streckte ihm eine Hand hin.
Er biss nicht hinein – gutes Zeichen.
»Münzen«, schnarrte er.
Heather, seine ständige Begleiterin und Lehrerin, hatte mir eingeschärft, dass es unerlässlich sei, für das Verhalten des Kindes feste Regeln zu installieren. Bitte. Danke. Kann ich? Diese Begriffe hatten für ihn keinerlei Bedeutung.Wenn er sie nicht bald lernte, würde er sie gar nicht mehr lernen.
»Ich glaube, du meinst: ›Bitte, Jason, gibst du mir noch eine Münze?‹ Stimmt’s?«
Er war müde. Er würde nicht bitte und danke sagen. »Münzen!« Inzwischen hörte er sich an wie ein Marineoffizier beim Drill und nicht wie ein fünfjähriger Junge.
Ich sah Wanda an. »Ich muss schleunigst los. Bitte«, sagte ich, »gehen wir mal essen?« Donnerstags blieb Heather immer bis in den Abend.
Weitere Kostenlose Bücher