Am Horizont das rote Land: Roman (German Edition)
Wann?«
»Zwei Tage nachdem du herkamst, aber neue Gefangene dürfen keinen Besuch empfangen, und auch keine Briefe, bis sie sich ein bisschen eingelebt haben. Bei dem Geheule bekommt man immer Bauchgrimmen.«
Rhia hätte weinen mögen. Antonia war in Millbank gewesen, und man hatte ihr nicht erlaubt, sie zu sehen. Margaret wirkte verhalten mitfühlend. Doch sie schüttelte warnend den Kopf. »Denk daran, kein Geflenne, Mahoney.« Wieder wies sie mit dem Kopf in Richtung von Nora und ihren Gesellen. »Die halten dich eh schon für weich, also musst du härter werden, oder zumindest so tun. Morgen ist Besuchstag, und vielleicht kommt ja jemand für dich.«
Rhia kämpfte gegen die Emotionen, die immer nur einen Atemzug entfernt waren. »Woher kennen Sie Mrs Blake?«
»Die Quäker kommen oft. Richtige Heilige, alle miteinander. Mrs Blake vor allem, wo sie doch ihre eigenen Sorgen hat und so. Sie hat mir erzählt, ihrem Dienstmädchen geht’s nicht gut, was mich aber nicht überrascht. Die hat sowieso nicht alle Tassen im Schrank.«
»Juliette?«
»Bekloppt. Total. Hat mir nämlich erzählt … aber das darf ich nicht sagen – hab’s versprochen.« Margaret wirkte enttäuscht. Hütete sie ein Geheimnis von Juliette?
Ein bisschen Tratsch war auf einmal von großem Interesse. »Dann war es wohl etwas Törichtes?«, hakte sie nach.
»Und wie . Ich sag nur so viel: Juliette hat mir was gegeben, was ich für sie nach Sydney mitnehmen soll, wo ich hinkommen werde, und wenn du das sehen würdest, wüsstest du, dass sie spinnt.«
Ehe Rhia noch mehr über Margarets seltsames Geheimnis oder Sydney herausfinden konnte, unterbrach sie der Gong der Eisenglocke am Hoftor. Sie wurden zusammengetrieben und zurück zu ihren Zellen und ihren Näharbeiten gebracht.
Als das Licht nicht mehr zum Nähen reichte, wünschte Rhia sich sehnlichst, für immer schlafen zu können. Der Schlaf war ihr an diesem Ort nicht hold, und sie lag oft wach. Wenigstens wusste sie jetzt, weshalb sie keinen Brief mehr von zu Hause erhalten hatte, denn inzwischen hatte ihre Mutter doch sicher von Mr Dillon gehört. Aber was, wenn Brigit sich ihrer schämte und sich nicht überwinden konnte, ihr zu schreiben? Rhia verbannte den Gedanken aus ihrem Kopf. Selbst wenn sonst nichts auf der Welt mehr stimmte, dann konnte sie sich immer noch auf die Dauerhaftigkeit der Liebe ihrer Mutter verlassen.
Ihre Gedanken wanderten zu Laurence. Selbst wenn seine Avancen nicht mehr als Koketterie gewesen waren, so vermisste sie ihn doch. Vielleicht würde sie ihn nie wiedersehen. Jetzt würde er sie sicher nicht mehr begehrenswert finden. Ihre Eitelkeit war abgeblättert wie eine leuchtende Farbe, die man zu lange den Elementen ausgesetzt hatte.
Der Mond musste fast voll sein, denn ein blasser Strahl fiel auf den Holzdeckel des Waschzubers und das Regalbrett darüber. In manchen von Mamos Geschichten war der Mond die Laterne der Königin der Nacht, deren Name je nach Geschichte wechselte: von Anu zu Cerridwen, von Rhiannon zu Cailleach. Rhia musste an Antonias Ikonen denken. Mary konnte vermutlich ebenso die Königin der Nacht sein. Der Mondstrahl erleuchtete das Regal und den einzigen Lesestoff, den Rhia seit Wochen erblickt hatte: eine Bibel. Sie hatte ihr bisher kaum Beachtung geschenkt und sie nicht angefasst. Wenn die seufzenden Schatten sich nicht zeigen wollten, dann würde sie heute Nacht Katholikin sein, beschloss Rhia plötzlich. Sie griff nach dem mondbeschienenen heiligen Buch, ehe sie es sich anders überlegen konnte, und schlug es wahllos auf. Der Psalm ließ sie das Buch ebenso rasch wieder zuklappen:
119:37 Wende meine Augen ab, dass sie nicht sehen nach unnützer Lehre; sondern erquicke mich auf deinem Wege
Es war nicht nötig, nach göttlichen Zeichen zu suchen, wenn sie einem direkt unter die Nase gehalten wurden. Sie war sich nicht sicher, ob sie sich getröstet oder gerügt fühlen sollte, aber zumindest fühlte sie sich fürs Erste weniger allein. Sie schlief bis zur Morgenglocke.
Die Wärterin Miss Hayter schloss am nächsten Morgen Rhias Zelle auf. Miss Hayter hatte ihr die unvergessliche Güte erwiesen, sich in ihrer ersten Nacht hier zu ihr zu setzen, als Rhia solche Angst hatte und vor Einsamkeit und Heimweh fast verrückt geworden war. Sie hatte kaum gesprochen, sondern nur mit etwas Näharbeit bei der Tür gesessen, während Rhia in ihrer Hängematte schluchzte.
Miss Hayter war wie ein kleiner Vogel, so unscheinbar, und sie sprach mit
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