Am Horizont das rote Land: Roman (German Edition)
Arbeitgeber verfasst: Zum einen war das ein Vikar mit zwei Töchtern in Finsbury und zum anderen eine ältere Witwe in Kensington, die eine junge Gesellschafterin suchte. Die zweite Anstellung, vermutete Antonia, könnte für jemanden mit Rhias Ruhelosigkeit zu gesetzt sein. Wenigstens unterstützte das Quäkertum aktiv Frauen bei der Arbeit. Bei den Quäker-Freunden würde sie keinen Missfallen ernten, wenn sie irgendwann das Handelsgeschäft selbst in die Hand nahm.
»Was genau ist denn das Jerusalem Coffee House?«, wollte Rhia plötzlich wissen
»Es ist eine Art Treffpunkt …«, fing Laurence an und sah dann hilfesuchend zu Antonia hinüber. Er hegte wenig Interesse an der Welt des Handels, stattdessen war er offensichtlich in das Helldunkel der Pflastersteine vertieft.
»Dort treffen sich Bankiers, Investoren, Händler und Leute von der Königlichen Börse, um Bestände und Aktien zu kaufen und zu verkaufen«, erklärte Antonia. Sie beneidete Laurence. Sie wünschte, auch sie könnte sich ausschließlich auf Licht und Schatten konzentrieren. Die Ironie dieser Metapher war ihr durchaus bewusst. Sich allein aufs Licht zu konzentrieren schien genauso problematisch, wie sich in den Schatten zu verlieren. Sie verfielen wieder in Schweigen. Keiner war in Stimmung für eine Dinnerparty.
Bei der Montgomery-Residenz handelte es sich um eine von mehreren eindrucksvollen Villen am Belgrave Square, nahe den Gärten des Buckingham Palace. Sie traten durch ein üppig verziertes schmiedeeisernes Tor, an dem ein Diener sie erwartete, und gingen dann einige breite Marmorstufen hinauf. Diese führten zu einer Kolonnade mit Säulen und einer zweiflügeligen Tür aus glänzendem Eichenholz.
Die Türen wurden von einem Dienstmädchen in gestärkter Uniform geöffnet, die hübsch wie eine Porzellanpuppe war. Die Gäste betraten eine edle Eingangshalle mit gefliestem Boden und Wänden mit jadegrünem und pfauenblauem Muster. Sehr theatralisch, dachte Antonia, und kam sich in ihrem schlichten, geschnürten Gewand aus Armozeen-Stoff vor wie ein Dienstmädchen.
Man brachte sie in ein weitläufiges Empfangszimmer, an dessen Wänden ringsherum französische Wandteppiche hingen. Hier hatten sich die Dinnergäste versammelt, um dem Pianoforte zu lauschen, das von einem flachshaarigen, in zuckerrosafarbenen Tüll gehüllten Wesen gespielt wurde. Isabella Montgomery würde bald volljährig sein, doch mit ihren hellblonden Ringellocken und den klaren kornblumenblauen Augen schien sie kaum der Kinderstube entwachsen zu sein. Als die Ankömmlinge angekündigt wurden, drehte sie sich um, schlug eine falsche Taste an und kicherte nervös.
Auf majestätischen Stühlen ganz in der Nähe saßen Mr Montgomery und neben ihm seine Frau Prunella in leuchtendem Magentarot mit einer Tiara auf dem Kopf. Sie wandte demonstrativ den Blick ab, als sie Antonias Rock erblickte. Sie besaß dieselbe Wolke aus sonnenblumengleichem Haar wie ihre Tochter, doch ihre Augen waren glasig von der Flüssigkeit, an der sie gierig nippte. Mr Montgomery wirkte angespannt.
Die bereits anwesenden Gäste saßen auf einer Reihe gepolsterter Stühle. Antonia erkannte in dem hageren Paar Lord und Lady Basset wieder. Er war einer der Vertreter der East India Company in Kanton. Die Bassets gehörten zur besseren Gesellschaft, und Antonia entging nicht, wie Lady Basset die Augen aufriss, als eine Quäkerin und eine Ausländerin ihre Plätze neben Mr Beckwith und Isaac einnahmen. Wenigstens hatte Laurence sein Haar geölt, doch sein Hemd hatte vorn Falten wie immer. Antonia hatte keine Ahnung, wie es ihm gelang, ständig so zerknittert auszusehen. Beth gab sich wirklich die allergrößte Mühe, seine Hemden zu stärken und zu bügeln.
Isabella hämmerte auf die Tasten des Pianofortes ein, und Antonia ertappte Isaac dabei, wie er ihr heimliche Blicke zuwarf. Seine Mundwinkel zuckten, als ein weiterer falscher Akkord erklang. Rasch sah sie weg, um nicht zu kichern. War es nur ihr Gefühl, fehl am Platze zu sein, oder war die Anspannung im Raum deutlich spürbar? Es war eine seltsame Gesellschaft, und sie fand Mr Montgomery mutig, diese Gruppe von Leuten zu versammeln.
Isaac war am Tag der Beerdigung besonders aufmerksam gewesen, im Wissen, dass ein weiterer Todesfall sie tief getroffen hatte. Dass Ryan Selbstmord begangen hatte, war ihr immer noch unbegreiflich – Antonia verspürte nach wie vor nur Ungläubigkeit. Sie hätten doch sicher die Anzeichen bemerken müssen? Waren
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