Am Horizont das rote Land: Roman (German Edition)
sie allesamt nachlässig gewesen? Ryans seltsame Laune war ihr aufgefallen, aber sie hatte schlicht angenommen, dass es sich um den Druck der Geschäfte handelte. Isaac plagten ganz offensichtlich dieselben Reuegefühle. Er war sowohl für Ryan als auch für Josiah Kollege und Freund gewesen. Auch er lebte mit dem Kummer, nachdem er erst vor zwei Sommern seine Frau an den Typhus verloren hatte.
Als Isabella fertig mit Spielen war, übernahm Mr Montgomery die Führung, da seine Frau bereits etwas weggetreten war. Er führte Antonia am Ellbogen ins Speisezimmer, und sie spürte, wie ihre Haut auf seine Berührung durch den dicken Stoff ihres Ärmels hindurch kribbelte. Ihn wertzuschätzen war kein Verbrechen, aber sie musste doppelt aufpassen, sich korrekt zu verhalten. Nicht weil es sie sonderlich kümmerte, was die Leute dachten, sondern weil sie sich ihrer eigenen Verletzbarkeit bewusst war.
Mr Montgomery ließ sie neben sich Platz nehmen. »Es freut mich, Sie in Gesellschaft zu sehen, Mrs Blake. Stimmt es denn, was Mr Fisher mir erzählt hat – dass Sie vorhaben, Josiahs Geschäfte weiterzuführen?«
»Natürlich. Ich war schon vorher mehr eingebunden, als Ihnen vielleicht bewusst ist.« Warum besprach Isaac ihre Angelegenheiten mit Jonathan Montgomery?
»Mich sollte es nicht überraschen, wenn man bedenkt, dass Ihr Glaube so sehr darauf aus ist, eine Reform …«
»Es enttäuscht mich, dass Sie es als Reform auffassen! Es handelt sich lediglich um eine Respektsbekundung zwischen Eheleuten, dass eine Frau sich für solche Dinge interessiert.«
»In der Tat, verzeihen Sie mir. Selbstverständlich.« Er seufzte schwer, und Antonias Herz machte einen Satz. Wäre seine Frau häufiger nüchtern, dann würde sie sich vielleicht auch für seine Angelegenheiten interessieren.
»Wir müssen uns bald mehr über das Thema Handel unterhalten«, fügte er hinzu, als er seinen Stuhl zurückzog. »Vielleicht hatte Ihr Gatte unser jüngstes Unternehmen schon erwähnt?«
»Ich bin nicht auf dem neuesten Stand, nein. Zweifellos hatte er vor, mich davon in Kenntnis zu setzen, sobald er … aus Indien zurückkam.«
Ihr Gastgeber senkte den Blick auf seinen Teller und schüttelte den Kopf. Ihm musste Josiah ebenfalls fehlen. Ihr Mann war beliebt gewesen, auch wenn er sich zum Thema Moral stets frei geäußert hatte. Er hätte sich nicht mit jemandem zusammengetan, der nicht dieselben Prinzipien vertrat. Antonia wollte etwas Beruhigendes sagen. »Ich habe über das Porträt im Garten nachgedacht. Vielleicht hätten Sie gerne eine Darstellung davon …?« Sie verstummte, als sie Isaacs Blick bemerkte. Er wirkte missbilligend, und sie fragte sich, ob er ihren Ton für zu freundschaftlich hielt. Isaac sah rasch weg und sagte stattdessen etwas zu Rhia. Sein Gesichtsausdruck war ernst und die Bewegungen seiner großen Hände langsam und bedächtig. Antonia fiel plötzlich wieder ein, dass sie ihn im Jerusalem Coffee House mit dem Bankier von Barings gesehen hatte. Der Zwischenfall war ihr völlig entfallen, da seither so viel geschehen war. Isaac lauschte Rhias Schilderung ihrer Eindrücke von London ebenso aufmerksam wie Isabella Montgomery. Über das Klirren von Besteck und Kristall hinweg konnte Antonia nicht viel verstehen, doch sie hörte Isaac mit seiner ruhigen, tiefen Stimme sagen: »Irisches Leinen, als Import, kann kaum mit dem englischen mithalten, aber in Deutschland hat man es gern. Eine Nation, in der man fein gesponnenen Stoff ebenso sehr schätzt wie die Qualität anderer Dinge. Britannien scheint in letzter Zeit mehr mit dem Senken von Kosten und der Steigerung der Produktion und des Profits beschäftigt zu sein als mit Qualität.«
Als man ihnen den ersten, extravaganten Gang servierte – Kastaniensuppe und gebackenes Kalbsbries –, beugte Mr Montgomery sich zu Antonia hinüber.
»Ich hätte sehr gerne eine Darstellung des Porträts, Mrs Blake. Und haben Sie mit Ihren fotogenen Zeichnungen Fortschritte gemacht, seit wir uns das letzte Mal unterhalten haben?«
Antonia sah, wie Laurence ihnen bei diesen Worten den Kopf zuwandte. »Habe ich nicht, Mr Montgomery, auch wenn ich keinesfalls das Interesse daran verloren habe. Ich habe lediglich … pausiert. Was das Porträt betrifft, so sieht das Papiernegativ im Grunde genauso aus wie vor der Belichtung. Ich bin mir nicht sicher, ob ich erfolgreich war, weil mir bisher der Mut fehlte, es herauszufinden.« Sie wandte sich an Laurence, der nichts von diesem Porträt
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