Am Rande Der Schatten
schätzen konnten, wenn sie fünfzig Schritt weit zu sehen vermochten. Die Bogenschützen würden ohnehin nur etwa aus dieser Entfernung von Nutzen sein, bei diesem Wind. Der Wind war Regnus’ Nemesis gewesen. Ganz gleich, wie viel die Bogenschützen trainierten, wenn sie in diesen verdammten, unbeständigen Wind schossen, wurde ihre Treffsicherheit niemals viel besser.
Solon hatte an der ersten Mauer auf der gegenüberliegenden Seite von Vass Position bezogen und hoffte, dass er, wenn es zum Schlimmsten kam, imstande sein würde, den Männern ohne Vass’ Einmischung zu helfen.
Er konnte den Jungen nicht hassen. Armeen waren voller Männer wie Lehros Vass, und er war durchaus ein guter Mann. Besser als die meisten. Er war einfach ein Soldat, der einen vorgesetzten Offizier brauchte, und die Zeiten hatten sich dazu verschworen, ihn selbst zu einem solchen zu machen. Es war ein grausamer Streich des Schicksals, der wahrscheinlich zur Folge haben würde, dass man Vass als einen tollkühnen Idioten in Erinnerung behielt, der den Tod seiner Männer verursacht hatte, statt später in ihm einen heldenhaften Soldaten zu sehen.
Das Warten war das Schlimmste. Wie jeder Soldat hasste Solon das Warten. Es war gut, ein Offizier zu sein, wenn die Zeit des Wartens kam. Man konnte seine Zeit damit ausfüllen, die Männer zu ermutigen, stark zu bleiben. Das ersparte es einem, die Zeit zu haben, sich selbst Sorgen zu machen.
Solon glaubte, durch die kreiselnden Wolken und die Dunkelheit etwas zu sehen. Er versteifte sich, aber es war nichts.
»Es ist Zeit. Denkt daran, schaut sie nicht direkt an«, erklärte er den Männern in seiner Nähe. Er zog die Bienenwachsstöpsel heraus, die er zum Wärmen zwischen den Fingern gerollt hatte, steckte sich einen ins Ohr und hielt dann inne.
Wieder glaubte er, etwas zu sehen, aber es war nicht der Umriss eines Mannes oder eines Pferdes, sondern ein gewaltiges Quadrat - nein, es war nichts. Die Männer um ihn herum beugten sich vor und spähten in die Dunkelheit.
Dann begann seine Haut zu kribbeln. Wie die meisten männlichen Magier besaß Solon nur wenig Talent als Seher. Die einzige Magie, die er normalerweise sehen konnte, war seine eigene. Aber er konnte Magie spüren, insbesondere dann, wenn sie nah war, und immer, wenn sie gegen ihn eingesetzt wurde. Jetzt hatte er das Gefühl, als gehe er an einem feuchten Tag draußen spazieren. Die Magie war nicht intensiv, aber sie war überall. Sie war so diffus, dass er sie, hätte Dorian ihn nicht so nervös gemacht, niemals bemerkt hätte. »Versteht sich einer von euch gut darauf, Knoten zu binden?«
Die Soldaten tauschten verwirrte Blicke. Schließlich sagte einer von ihnen: »Ich bin praktisch auf einem Fischerboot aufgewachsen, Herr. Ich schätze, ich kenne so ziemlich jeden Knoten, den es gibt.«
Solon griff nach dem Seil, das an einem Eimer festgebunden war, mit dem die Soldaten die Wasserzisternen oben auf der Mauer auffüllten. Er schnitt den Eimer los. »Fessle mich«, verlangte er.
»Herr?« Der Soldat sah ihn an, als sei er verrückt.
Ist das die Art, wie ich Dorian angesehen habe? Tut mir leid, Freund.
Die Magie verdichtete sich.
»Binde mich an die Mauer. Binde mich so, dass ich mich nicht bewegen kann. Nimm meine Waffen.«
»Ich, Herr, ich …«
»Ich bin ein Magier, verdammt, ich bin empfänglicher für das, was sie … verdammt! Sie kommt!« Etliche Soldaten drehten sich um und starrten ihn an. »Seht sie nicht an. Glaubt nicht, was ihr seht. Verdammt, Mann, jetzt! Ihr anderen, schießt!«
Dies war ein Befehl, mit dem sich eine größere Zahl von Männern anfreunden konnte. Selbst wenn Lehros Vass am Morgen auf sie wütend wäre, würde man ihnen schlimmstenfalls auftragen, ihre Pfeile vom Schlachtfeld vor den Mauern zu holen.
Der ehemalige Seemann schlang das Seil mit sachkundigen Bewegungen um Solons Körper. Binnen weniger Augenblicke waren Solons Hände hinter seinem Rücken gefesselt und mit seinen Füßen verbunden, und erst danach band er seinen Umhang fest, damit er nicht fror. Dann band der Mann ihn an die Winde, die sie benutzten, um den Eimer hochzuziehen.
»Jetzt eine Augenbinde und meinen anderen Ohrstöpsel«, sagte Solon. Der Mann hatte ihn so gefesselt, dass er über die Mauer hinwegblickte. Solon hätte ihm befehlen sollen sicherzustellen, dass er sie nicht sehen konnte. »Beeil dich, Mann.«
Aber der Soldat reagierte nicht. Er schaute über die Mauer hinweg in die Dunkelheit, so wie alle anderen
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