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Am Sonntag blieb der Rabbi weg

Am Sonntag blieb der Rabbi weg

Titel: Am Sonntag blieb der Rabbi weg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Kemelman
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eine Respektsperson sind.»
    Der Rabbi begriff nicht ganz, worauf Carter hinauswollte. Er nickte ihm zu und hoffte, er werde bald zur Sache kommen.
    «Lanigan hat heute früh angerufen. Der Junge darf beerdigt werden. Sie machen ihn nicht auf … Vorhin war ich noch auf der Polizeiwache, um alles zu regeln.»
    «Gut.»
    «Ja … Und da dachte ich, ich schau mal bei Ihnen rein, um Ihnen zu danken.»
    «Ich habe nichts damit zu tun, Mr. Carter. Gar nichts.»
    «Wenn Sie nicht zu Lanigan gegangen wären …»
    «Nein, Mr. Carter», sagte der Rabbi mit Bestimmtheit, «das hat nichts damit zu tun. Lanigan hat sich sogar entschieden geweigert, die Leiche freizugeben, weil noch Zweifel bezüglich der Todesursache bestanden – zu Recht, wie sich inzwischen herausgestellt hat. Als sich dann später herausstellte, dass Moose erstickt war, hielt der Arzt eine Obduktion nicht mehr für erforderlich, weil sie nichts Neues ergeben würde – der Tod tritt bei einer Alkoholvergiftung ebenfalls durch Ersticken ein, soviel ich weiß. Der Alkohol lähmt das Atemzentrum oder so ähnlich.»
    «Aber wenn Sie nicht hingegangen wären, hätten sie’s vielleicht trotzdem getan … Die Ärzte machen das manchmal einfach so zum Üben, das ist doch bekannt», fügte er düster hinzu.
    «Wie wollen Sie es mit der Beerdigung halten?», fragte der Rabbi, um ihn abzulenken.
    «Im engsten Familienkreis. Wir wollen nicht einen Haufen Volk. Nur die Angehörigen und ein Freund von mir, der Prediger ist. Er wird ein paar Worte sprechen.»
    «Ich glaube, das ist wohl das Beste.»
    «Wissen Sie, Rabbi, ich …» Carter ballte die Fäuste: «Ich hätte den Jungen retten können … Ich bring’s nicht fertig, es meiner Frau zu sagen. Aber Ihnen sag ich’s.»
    «Wie meinen Sie das?»
    «Ich habe nicht auf den Herrn gehört, Rabbi. Der Herr hat zu mir gesprochen, und ich habe nicht auf Ihn gehört.»
    Der Rabbi sah erstaunt auf. «Oh?»
    «Ja. Ich bin fortgegangen, um Moose zu suchen. Ich hab in alle Kneipen reingeschaut – ich war sicher, dass ich ihn in einer davon finden würde … Aber nichts. Da bin ich einfach ziellos rumgefahren, kreuz und quer durch die Gegend. Und auf einmal war ich draußen an Tarlow’s Point … Ich bitte Sie, Rabbi: Wäre ich da rausgefahren, wenn mich nicht der Herr geführt hätte? Bei der Hillson-Villa hab ich sogar gebremst … Der Herr hat mich gelenkt, das ist ganz klar. Aber ich war wütend auf den Jungen, und ich ließ die Wut laut werden in mir, und die Wut war lauter als Seine Stimme. Hätte ich meine Wut beherrscht, so hätte Er zu mir gesprochen und mir gesagt, wo ich den Jungen suchen muss. Aber ich habe mich Ihm verschlossen, Rabbi, und so konnte Seine Stimme nicht durchdringen.»
    «So dürfen Sie nicht denken, Mr. Carter.»
    «Ich bin froh, dass ich mich bei Ihnen aussprechen kann. Ich hab’s nicht übers Herz gebracht, es meiner Frau zu sagen … Oh, ich weiß, die Wege des Herrn sind unerforschlich, und alles ist Teil eines göttlichen Planes, den ich nicht begreifen kann … Wenn ich in meinem Zorn die Stimme des Herrn überhört habe – das ist vielleicht auch ein Teil Seines Planes. Oder eine Lehre, um mir zu zeigen, dass mein Zorn Sünde war.»
    «Meinen Sie im Ernst, Gott hat Ihren Sohn sterben lassen, damit Sie sich in Zukunft zusammennehmen?», fragte der Rabbi scharf.
    «Ich weiß es nicht. Aber Seine Diener müssen versuchen, Ihn zu verstehen. Warum wäre mir sonst der Gedanke gekommen?»
    «Nicht alle Gedanken kommen von Gott, Mr. Carter, und nicht alles, was geschieht, geschieht nach dem göttlichen Plan. Sie dürfen Gott nicht einfach alles in die Schuhe schieben – so einfach ist das nicht! Vieles geschieht durch unser eigenes Verschulden und anderes durch reinen Zufall.»
    «Das ist nicht gut, was Sie da sagen, Rabbi.» Carter erhob sich; er schien verletzt. «Es zeugt von mangelndem Gottvertrauen. Das hätte ich niemals von Ihnen erwartet … Aber vielleicht sagen Sie es nur, um mich zu trösten.» Er wollte zur Tür, blieb aber wieder stehen. «Sie müssen nur glauben, Rabbi, dann wird alles gut …» Sein Gesicht hellte sich auf, er lächelte sogar. «Übrigens, sie haben diesen Neger erwischt, der meinen Sohn umgebracht hat. Als ich bei Lanigan war, haben sie ihn gerade gebracht.»
    Als Carter gegangen war, rief der Rabbi nach seiner Frau. «Wo ist mein Mantel, Miriam? Ich muss zu Lanigan!»
48
    Ben Gorfinkle rief am Vormittag seine Frau an, um zu sagen, er werde zum Mittagessen nach

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