Am Sonntag stirbt Alison
Blümchentassen zurück, in denen ein Kaffee und eine heiße Schokolade mit Sahnehaube dampften. »Das Richtige bei diesem Wetter«, meinte sie freudestrahlend. »Das vertreibt die Kälte aus den Gliedern, ihr werdet sehen!«
»Na, dann prost«, grummelte Sebastian.
»Darf ich Sie etwas fragen?«, begann Lys unschuldig, während sie ihren Kakao umrührte.
»Aber gewiss doch, meine Kleine«, flötete die Frau.
»Arbeiten Sie schon länger hier?«
Das Lächeln der beschürzten Dame bekam etwas Verkniffenes, so als habe sie gerade in die Zitrone für ihren Schwarztee gebissen. »Ich bin die Eigentümerin dieser Lokalität«, sagte sie mit einem leicht schnippischen Ton. »Ich führe dieses Café seit beinahe zwölf Jahren!«
»Oh, gut«, rief Lys aus. »Wissen Sie, es geht um eine Freundin von mir. Sie war ab und zu hier in diesem Café, und… na ja, sie ist seit drei Jahren spurlos verschwunden und das lässt mir irgendwie keine Ruhe. Ihr Name ist Alison McKinley. Erinnern Sie sich zufällig an sie?«
»Natürlich!« Die Dame schlug theatralisch die Hand vor den Mund. »Die arme, arme kleine Alison. Jeden Sonntag war sie hier, mit ihrer Frau Mutter. Nette, höfliche Leute. Ausländer zwar, aber trotzdem sehr anständig. Ich habe oft etwas mit ihnen geplaudert. Die Mutter sagte immer, der Ausblick erinnere sie an einen Ort in ihrer Heimat. Sie hatte schreckliches Heimweh, glaube ich. Ich habe sie mal gefragt, warum sie nicht wieder zurückgeht nach Argentinien, oder war es Brasilien? Aber sie meinte, das ginge nicht, irgendwelche familiären Probleme, na ja, man kennt das ja.« Sie nickte wissend.
»Alisons Vater ist nie hier gewesen?«, fragte Lys.
»Nein, die Frau war ja geschieden. Überhaupt war nie ein Herr dabei. Also nicht, solange sie beide hierherkamen. Hinterher dann schon.«
»Wie hinterher? Was meinen Sie?«, fragte Sebastian.
»Na ja, nachdem das Mädchen verschwunden war. Schreckliche Geschichte!« Die Frau machte ein entsetztes Gesicht, vermutlich fand sie das angemessen, wenn es auch eher so aussah, als ob sie eine Vogelspinne in der Spitzengardine entdeckt hätte. »Alle Zeitungen haben darüber berichtet! Die arme, arme Mutter! Sein Kind so zu verlieren! Sie kam danach weiterhin jeden Sonntag hierher, so als ob sie ihrem armen Mädchen an diesem Ort nahe sein könnte. Und so traurig sah sie aus! Es hat mich nicht gewundert, dass sie diese Medikamente genommen hat, wie sie in den Zeitungen gesagt haben. Aber dass sie sich dann umbringt, das hätte ich doch nicht gedacht. Vor allem nicht gerade dann!«
»Gerade dann?«, wiederholte Lys vorsichtig.
»Gerade, als sie diesen Mann kennengelernt hatte«, erklärte die Frau. »Ich habe mich noch für sie gefreut, als sie an diesem Tag in unser Café kam und einen Herrn bei sich hatte. Ein anständiger Mann, so etwas sehe ich gleich, mit Anzug und Krawatte, nicht so ein heruntergekommener Hallodri. Sie haben dann auch gleich den Tisch dahinten im Eck haben wollen.« Sie wies auf eine Sitzecke, die durch eine Trennwand vom Rest des Raumes abgetrennt war. »Den nehmen immer die Liebespaare.« Die Frau kicherte. »Ein Glück, dachte ich, jetzt hat sie endlich jemanden gefunden, der sie aus ihrer Trauer befreit. Und dann hat sie direkt danach… unglaublich…«
»Direkt danach?«, fragte Lys.
»Ja!«, rief die Frau aus. »Wusstet ihr das nicht? Sie ist auf der Heimfahrt von diesem Café gestorben! An eben genau diesem Tag! Weiß der Himmel, was in sie gefahren ist! Welche Frau bringt sich denn um, kurz nachdem sie mit einem gut aussehenden Mann Kaffee getrunken hat?«
»Kommt vielleicht auf den Kaffee an«, hörte Lys Sebastian murmeln, doch zum Glück hatte die Cafébesitzerin sich so in ihre Geschichte hineingesteigert, dass sie seine Bemerkung überhörte.
»Vielleicht haben sie sich ja gestritten«, mutmaßte Lys.
»Ja, so wird es wohl gewesen sein«, seufzte die Frau. »Traurig, traurig, das alles. Nun ja. Möchtet ihr ein Stück Erdbeerkuchen?«
Lys schüttelte den Kopf. »Dieser Mann – Sie sind sich sicher, dass er nie zusammen mit Alison hier gewesen ist?«
»Ganz sicher.« Die Cafébesitzerin nickte, dass ihre Dauerwelle wippte.
»Wie sah er denn aus?«
»Oh, gut! Mitte, Ende vierzig vielleicht, dunkles, grau meliertes Haar, blaue Augen… Ein bisschen grob war er vielleicht. Ich bin ja diskret, ich habe extra gewartet, bis sie zur Toilette ging, bevor ich an den Tisch kam, um zu fragen, ob sie noch etwas bestellen möchten, und
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