Am Sonntag stirbt Alison
»Sie ist einfach Christine Saier, sonst niemand. Alison hat sich nicht als Christine Saier ausgegeben. Sondern irgendeine Frau, die Christine Saier heißt und Alison ähnlich sieht, gibt sich als Alison aus.«
Leo starrte fassungslos auf die junge Frau. »Aber… warum?«, flüsterte er.
»Ich wollte niemandem etwas Böses!«, fing die junge Frau jetzt an zu stammeln. »Es ging doch nur um die Versicherung! Versicherungen haben doch genug Geld, das macht doch nichts, wenn man die austrickst!«
»Was für eine Versicherung?«, fragte Sebastian.
»Na, die Entführungsversicherung, die Alison abgeschlossen hat!«, rief die junge Frau. »Alison braucht das Geld, weil sie doch in Hollywood Fuß fassen will, und ihr Vater hält nichts von ihrer Schauspielkarriere und wollte sie deshalb nicht unterstützen. Deshalb ist sie auf die Idee mit der Versicherung gekommen, aber sie konnte nicht selbst herkommen, weil sie doch gerade dieses wichtige Casting hat, und deshalb haben sie mich gefragt, ob ich nicht ihre Rolle spielen kann. Sie haben gut gezahlt und ich brauchte Geld und… ich meine, niemand ist geschädigt worden, nur diese Versicherung, das ist doch kein Verbrechen!«
»Niemand ist geschädigt worden?«, rief Sibel wütend. »Nein, überhaupt nicht! Lys hat einen Schulterdurchschuss, Sebastian hat sich den Arm gebrochen, Leo hat ’ne Platzwunde am Hinterkopf und McKinley ’ne Kugel in der Brust, aber sonst ist eigentlich niemand geschädigt worden!«
Christine Saier starrte sie mit offenem Mund an. Wolfgang Berghäuser wischte sich mit einem Taschentuch den Schweiß von der Stirn und von den Lippen. Julia lehnte sich mit verschränkten Armen gegen die Wand unmittelbar neben dem Krankenbett und betrachtete Sibel mit ausdruckslosem Gesicht. Der Wachmann ging zum Fenster und schloss es, die Waffe immer noch auf die vier jungen Leute gerichtet.
»Das heißt… Alison ist tatsächlich in Hollywood?«, fragte Leo verwirrt.
»Ich glaube nicht«, sagte Lys.
»Wo ist sie dann?«, fragte Leo.
»Ich nehme an, sie ist tot«, murmelte Lys.
Leo starrte sie an. Christine Saier stieß einen quiekenden Laut aus.
Wolfgang Berghäuser schnappte nach Luft und wischte sich erneut den Schweiß von der Oberlippe. »Ich hatte doch keine Wahl!«, keuchte er. »Ich brauchte das Geld, um das Hotel aufzubauen, und die Bank wollte mir keins geben. Daran war nur der Löber schuld, der mit seiner üblen Nachrede! Was sollte ich denn machen? Also musste ich eben diese Leute fragen, ob sie mir Geld geben, ich hatte keine Wahl!«
»Diese Leute? Sie meinen Alisons mexikanische Verwandte. Die Stiefoma mit ihrer Drogenmafia«, stellte Lys fest.
Wolfgang Berghäuser nickte hastig. »Ich bin ihr zufällig begegnet, sie hat doch diese Firma hier. Und als ich dann kapierte, wer sie war und dass sie ein Kopfgeld auf Alison und ihre Mutter ausgesetzt hatte… ich meine, was hätte ich denn sonst tun sollen? Es ging doch um das Hotel! Es ging um unsere Zukunft!«
»Was ist mit Alison passiert?« Es war Leo, der das fragte. Er klammerte sich noch immer an das Bettgitter, seine Lippen hatten jede Farbe verloren.
»Sie haben sie getötet, nicht wahr?«, rief Lys anklagend. »Damals, vor drei Jahren, da haben Sie ihr im Wald aufgelauert, als sie joggen ging, und sie dann umgebracht!«
»Ich hatte doch keine andere Wahl!«, jammerte Herr Berghäuser erneut.
»Wo ist sie?« Leos Stimme war kaum zu hören. »Was haben Sie mit ihrer… Leiche gemacht?«
»Gar nichts!«, schrie Berghäuser. »Sie ist in den Fluss gesprungen! Ich hatte mir eine Pistole besorgt und dann habe ich sie auf einer Brücke abgepasst und auf sie geschossen. Sie ist umgekippt. Ich bin zu ihr hingelaufen, um nachzusehen, ob sie wirklich tot ist, aber da hat sie sich plötzlich wieder aufgerappelt, ist über das Geländer geklettert und hat sich in den Fluss fallen lassen. Die Brücke war bestimmt dreißig Meter hoch und das Wasser war reißend von dem ganzen Regen die Tage davor. Sie war sofort weg und ist nicht wieder aufgetaucht. Niemand hat sie je gefunden!«
»Das heißt also, Alison ist schon vor drei Jahren gestorben?«, fragte Sebastian ungläubig. »Und diese ganze Entführungskiste in München, das haben Sie mit einer arbeitslosen Schauspielerin inszeniert, die ihr durch Zufall ein bisschen ähnlich sieht? Na ja, jetzt ist auch klar, warum McKinley die ganze Zeit behauptet hat, seine Tochter komme ihm so komisch vor. Ist ja logisch, wenn es gar nicht seine Tochter
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