Am Strand des Todes
Laterne aus. Sie griff nach Missys Händchen
und stemmte sich gegen den Wind. Bevor sie hundert Schritt
von der Hütte entfernt waren, waren sie durchnäßt bis auf die
Haut.
»Ich möchte ins Haus zurück«, quengelte Missy.
»Wir müssen zuerst Robby finden«, schrie Rebecca. »Wohin
wollte er?«
»Er sagte, er würde an den Strand gehen.« Missy mußte
laufen, um mit Rebecca Schritt zu halten.
Sie hasteten direkt am Wasser entlang über den Strand. Die
Stablampe war so gut wie nutzlos. Ihr Strahl wurde durch den
schwer niederstürzenden Regen in Tausende wirbelnder
Pünktchen gebrochen, die das Sehen eher noch erschwerten.
Plötzlich blieb Missy stehen und zog an Rebeccas Hand.
»Da ist jemand«, sagte sie fast tonlos.
Rebecca schwenkte die Lampe nach allen Richtungen; ihre
Hand zitterte. »Robby?« fragte sie. »Robby?«
Sie drehte sich so, daß der Wind von hinten kam und rief
erneut nach ihrem Sohn. Doch wieder keine Antwort. Dann
zerriß ein greller Blitz die Schwärze des Himmels und zuckte
in das nahe Wäldchen. Und plötzlich spürte sie, daß etwas
hinter ihr war.
Es war nicht ihr Sohn.
Sie gab Missys Hand frei.
»Lauf, Missy, lauf so schnell du kannst zurück ins Haus!«
Und während sie Missy davonstürzen sah, fühlte sie, wie
sich etwas von hinten um ihren Hals legte. Es war ein Arm, ein
starker Arm, und er drückte ihr die Luft ab. Sie versuchte zu
schreien, aber ihre Stimme gehorchte ihr nicht mehr.
Verzweifelt schlug sie mit der Stablampe nach dem Arm, doch
der Druck nahm unbarmherzig zu.
Nein, dachte sie, nein, das nicht! Bitte – o Gott – nein…
Missy lief völlig verwirrt durch die tosende Dunkelheit. Sie
hatte keine Ahnung, wohin sie lief.
Nur weg, weg von ihrer Mutter!
Und von diesem anderen, das bei ihrer Mutter war…
Sie stolperte und fiel hilflos weinend in den klammen Sand.
»Missy, bist du das?« Sie erkannte die Stimme.
»Robby? Wo bist du?«
»Hier drüben, komm her.«
Sie kroch auf die Stimme zu und stieß gegen einen
angeschwemmten Baumstamm.
»Kletter rüber«, forderte Robby sie auf.
Dann duckte sie sich neben ihn und spähte über den Stamm
hinweg in die Dunkelheit hinaus. Dort tanzte der Strahl der
Stablampe unstet auf und ab, fiel dann zu Boden und erlosch.
»Was ist passiert?« fragte Robby.
»Es ist Mami«, schluchzte das kleine Mädchen. »Irgend
jemand ist bei ihr…«
Ein neues Blitzbündel zerriß den Himmel, und die beiden
Kinder konnten die Umrisse ihrer Mutter am Strand erkennen.
Sie war in die Knie gesunken, überragt von einer massigen
Gestalt, die sich von hinten über sie beugte und ihren Kopf
nach vorn zwang…
Robby fühlte, wie die Erregung ihn zittern ließ; jeder Muskel
des kleinen Körpers spannte sich.
Die Dunkelheit schloß sich wieder, als der Donner über sie
hinwegrollte und Missys Aufschrei übertönte. Robby dagegen
war wie gelähmt.
»Laß uns heimgehen, Missy«, flüsterte er schließlich, wie
aus einem Traum erwachend. Benommen stand er auf und
nahm die kleine Schwester an der Hand. Er zog sie durchs
Unterholz und begann dann mit ihr auf die Hütte zuzulaufen.
Rebeccas verzweifelte Bewegungen wurden schwächer,
während ihr Bewußtsein sie verließ. Die Zeit schien sich zu
dehnen, und sie meinte noch zu spüren, wie ihr Blut mit letzter
Kraft Sauerstoff aus den Lungen zu saugen versuchte.
Dann hörte sie dicht neben dem Ohr ein seltsames Knacken
und sank in sich zusammen. Es war, als ob sie jeden Kontakt
mit ihrem Körper verloren hätte.
Mein Genick, dachte sie wie verwundert, mein Genick ist
gebrochen…
Einen Augenblick später lag Rebecca Palmer tot im Sand der
Sod Beach.
26
Die Petroleumlampe auf dem Eßzimmertisch flackerte, und
Glen Palmer streckte die Hand aus, um den Docht
hochzudrehen. In diesem Augenblick tauchte ein Blitz das
Haus der Randalls in grelles Licht, nur knapp hundert Meter
von der Stelle entfernt, an der Rebecca den Tod fand.
Erschrocken zuckte Glen zurück und lachte dann leicht
verlegen auf. Brad hob den Kopf und schaute über die
zwischen ihnen liegende Karte hinweg zu ihm hinüber.
»Vielleicht sollten wir für heute Schluß machen«, meinte er.
»Ich weiß nicht, wie es mit Ihnen ist, aber meine Augen
beginnen zu brennen. Ich bin dieses Licht nicht gewöhnt.«
Sie hatten den Nachmittag damit verbracht, die
verschiedenen Unglücksfälle, die sich in Clark’s Harbor
ereignet hatten, geographisch zu erfassen. Seit dem ebenso
unheimlichen wie unerklärlichen Ableben von Frank und
Myrtle Baron bis zum Schicksal
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