Amber Rain
auch anziehen. In Ordnung? Dann könnt ihr reden. Bis gleich.“
Charly starrt ihm verdutzt hinterher. „Was war das denn? Denkt der jetzt, er ist dein Vater, oder ist er Mr. Casanova? Irgendwie kann er sich wohl nicht entscheiden.“
„Kaffee oder Tee?“ Ich halte das Glas mit Nescafé in der e i nen Hand und wedle mit der anderen einen Karton Earl Grey in Charlys Richtung.
Sie rollt die Augen über meinen kläglichen Ablenkungsve r such, lässt mich aber trotzdem vom Haken. „Gar nichts. Ich muss los. Aber wo ich schon mal hier bin. Celia hat gestern noch mal bei mir angerufen, weil sie dich nicht erreicht hat. Sie wollte von dir wissen, ob du nicht doch zu den Proben ko m men kannst.“
Mein Magen verkrampft sich bei der Erinnerung an das Vo r sprechen. „Charly. Ich bin verhaftet worden, nach dem Ca s ting. Kapierst du? Verhaftet. Ich glaube kaum …“
„Ich kann dich bringen und wieder abholen. Die Proben sind immer Samstag und Sonntag am frühen Morgen.“
Die Versuchung ist da. Lockend wie Evas Apfel im Paradies und viel viel greifbarer. Wieder auf der Bühne stehen. Spielen. Das Publikum. Der Applaus. Ich schließe die Augen, weil es einfach zu weh tut. „Ich. Kann. Nicht.“
„Du solltest hingehen.“ Crispin ist unbemerkt wieder aus dem Schlafzimmer gekommen. Hose und Haar sitzen perfekt. Nur an seinem Hemd hat er die ersten drei Knöpfe offen g e lassen, was ihm einen Hauch Verwegenheit verleiht. Klar, wie soll ein Mann wie er, dem die Welt zu Füßen liegt, auch verst e hen, wie es ist, wenn das eigene Zuhause zum Gefängnis wird. Selbst Fesseln und Stangen gehorchen seinem Wort. Das hat er nicht nur mit den Bildern im Club eindrucksvoll bewiesen.
Flehentlich suche ich mit den Augen seinen Blick. Ich will nicht, dass er weiter in mich dringt. Er soll nicht sehen, wie schwach ich wirklich bin, wie kaputt. Unsere Augen treffen sich. Sofort ist sie wieder da. Die Verbindung. Die Energie. Ganz langsam kommt er auf mich zu. Lauernd. Präzise. Ich bilde mir das nicht ein, denn ganz entfernt nehme ich wahr, wie Charlys Hocker über den Boden rutscht.
„Ohm, puh, ist das heiß hier plötzlich. Ich geh dann mal. Muss ins Büro. Kannst mich ja anrufen, wenn du dich en t schieden hast. Bye. Pass auf dich auf.“
Wir achten nicht auf Charlys Verabschiedung, sind zu gefa n gen in dem wortlosen Duell, das wir uns liefern. Ich kann nicht gehen, sage ich ihm. Zwing mich nicht dazu.
Ich will, dass du gehst. Wirf diese Chance nicht weg. Sagt er. Wenn du willst, Amber Rain, dann schaffst du alles.
„Ich kann dich begleiten und auf dich aufpassen. Du kannst das. Ich will dich auf der Bühne sehen, Amber Rain.“ Seine Stimme vögelt meinen Namen, und ich muss trocken schl u cken, so intensiv ist sein Blick.
„Das würdest du tun?“
„Ja.“
Gestern hat er mich aufgefangen. Immer, wenn die Panik i h re Finger nach mir ausgestreckt hat, war er schneller. Ich kön n te es schaffen. Mit Crispin als mein Sicherheitsnetz könnte ich es schaffen.
„Ich würde es so gern probieren.“
„Unter einer Bedingung.“
„Bedingung?“ Nur ein Wispern. Würde er mich nicht immer noch mit seinem Blick stützen, meine Knie hätten unter mir nachgegeben, so groß ist die Enttäuschung.
„Spiel mit mir. Komm am Freitagabend auf meine Bühne und ich schenke dir deine am Samstag.“
„Du willst mich immer noch fesseln und schlagen? Auch nach“, es kostet mich Mühe, mit Worten zu umschreiben, was die letzte Nacht für mich bedeutet hat. Wie nah ich mich ihm gefühlt habe und dass ich nicht begreife, wie ihm das nicht g e nug sein kann. „Auch nach letzter Nacht?“ Aber dann, es hätte mich nicht überraschen dürfen. Die letzte Nacht war Crispins Geschenk an mich. Ein kostbares, wenngleich einmaliges G e schenk.
„Mehr als je zuvor, meine Schöne.“ Ich muss mich sammeln. Seine Bühne für meine. Seine Kunst für mein Theaterspiel. Mein Schmerz für seine Lust. „Was ist dir das Theaterspielen wert, Amber Rain?“
Ich strecke die Hand aus nach dem Apfel. Er ist die Schla n ge, und mein Wunsch mein Verderben. Wie Eva bin ich machtlos gegen die Versuchung. „Alles, Crispin. Es ist mir alles wert.“
6
Crispin
Ich erwarte sie an der Tür und freue mich, dass sie auf die M i nute pünktlich ist. Marcel lächelt sie wohlwollend an, als er ihr öffnet. Er nimmt ihr den kurzen Mantel ab, und mir verschlägt es fast die Sprache. Amber war einkaufen. In Lackmini, bauc h freiem Bustier und den
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