Amber Rain
kommen, dann packt sie mich im Nacken und zieht mich an ihre Lippen.
Der Kuss ist zart. Langsam. Verführerisch. Ein Knabbern, Tasten, Lecken. Ihre Zunge dringt in meinen Mund ein, und ich tanze mit ihr. Ihre Hand streichelt meinen Nacken, es fühlt sich so gut an.
„Tu etwas für mich“, sagt sie, als sie sich von mir löst und mir ernst in die Augen sieht. Ihre Wimpern sind ein bisschen verklebt von Glückstränen, und ich frage mich plötzlich, ob ich diese Art von Tränen verdiene. Meine Hand liegt auf ihrem nackten Oberschenkel.
„Was?“
Sie greift in den Ausschnitt des Hemdes, zieht etwas aus i h rem BH. Mir gehen fast die Augen über. Es ist ein kurzes, dünnes Hanfseil, kaum einen Meter lang.
„Wo hast du das her?“ Meine Stimme ist ganz rau.
Sie lächelt. „Das habe ich in deinem Nachttisch gefunden. Tut mir leid, ich wollte nicht in deinen Sachen wühlen. Die Schublade stand ein wenig offen.“
Es ist das Seil, mit dem ich neue Knoten entwerfe und übe, wenn ich nachts nicht schlafen kann. Ich schlafe nicht beso n ders gut, ich schiebe es gewöhnlich auf meinen Beruf. Ich nehme ihr das Stück aus der Hand und sehe zu, wie sie das Hemd aufknöpft, bis sie einen Arm herausstrecken kann. A n gestrengt starrt Jeremy auf die Straße.
„Ganz fest“, bittet sie.
Ich schlucke. „Du willst …“
„Ich will, dass du bei mir bist, Crispin.“
Ich lege das Seil in der Mitte zusammen, schlinge es um ihren Oberarm, schiebe die Enden durch die Schlaufe und ziehe mit einem Ruck den Knoten zusammen. Das Material ist vom vi e len Gebrauch längst nicht mehr so rau wie die Seile, mit denen ich sie gestern gequält habe, aber dafür ist der Knoten fester, das Seil um ein Vielfaches dünner und schneidet viel tiefer ein. Zischend zieht sie die Luft zwischen ihren Zähnen ein, presst die Lider fest zu und wölbt das Kreuz hoch, als der Schmerz zubeißt. Mit schnellen Handgriffen knote ich das Stück meh r fach um ihren Arm, bis es stramm und fest sitzt, gerade so, dass es nicht das Blut abschnürt. Dann werfe ich mich halb über sie, quetsche mit der Hand ihre Brust, verschlinge ihren Mund. „Du bist unglaublich“, keuche ich, lege meine Stirn auf ihre. In ihren Augenwinkeln glitzern zwei einzelne Tränen. Ich weiß, dass das Seil ihr weh tut. Ich weiß, warum sie das tut. Und es geht mir ans Herz und viel, viel tiefer.
Schweigend sitzen wir nebeneinander. Sie hält meine Hand umklammert, bis Jeremy sich endlich räuspert und die Fahrt verlangsamt. „Wo soll ich auf Sie warten, Sir?“
„Ich rufe dich an, wenn du uns hier wieder abholen sollst.“ Amber ist bereits ausgestiegen. Ich folge ihr.
Auf dem Rand des Victoriadenkmals lümmelt eine Gruppe junger Leute herum. Zumindest hat es aus der Entfernung den Anschein, aber beim Näherkommen stelle ich fest, dass auch ein paar Damen und Herren älteren Kalibers darunter sind, die aber krampfhaft versuchen, sich in Form von Kleidung und Benehmen den Jüngeren anzupassen. Eine seltsame Mischung. An einem der Poller, die verhindern sollen, dass Autos aus dem Kreisverkehr auf das Denkmal zurollen, bleibe ich stehen. „Ich warte hier.“
Unsicher sieht sie mich an. Ich berühre mit den Fingerspi t zen ganz leicht ihre Schläfen, streichle ihre Wangen, ihre Schu l tern, um dann fest mit der Linken den Knoten an ihrem Arm zusammenzupressen. Vor Überraschung knicken ganz kurz ihre Knie ein, aber sie fängt sich sofort. Ich küsse ihre Lippen, keusch. „Du siehst wunderbar aus, meine Schöne. Zeig es ihnen.“
Ich sehe ihr hinterher. Mit jedem Schritt gewinnt sie an S i cherheit. Die Theaterleute begrüßen sie, einige zurückhaltend, andere offen und beinahe begeistert. Ich bin zu weit weg, um zu verstehen, was gesagt wird. Der Morgen hat gerade erst a n gefangen, es sind noch kaum Autos unterwegs. Ein Bobby lehnt gelangweilt an einem Ampelmast und wartet darauf, dass irgendwann im Lauf des Vormittags seine Dienste als Ve r kehrsleitsystem gebraucht werden. Wie ich beobachtet er das Gehabe auf den Denkmaltreppen. Die Schauspieltruppe b e nutzt die Treppen als Bühne. Gelächter. Ein Klassenclown hält sich für besonders cool und unterhält die anderen durch Han d stände und Radschlagen. Was soll das denn für ein Stück sein, für das die hier Schauspieler suchen? Eine Frau im knallbunten Kostüm klatscht in die Hände. Das Tohuwabohu erstirbt, die Menge teilt sich, macht Platz auf der Marmortreppe nur sie bleibt zurück. Meine Schöne. Amber Rain zu
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