Amber-Zyklus 07 - Das Blut von Amber: der Titel
der Suche nach der einen richtigen Straße prüfte. Der Geruch von Erbrochenem als auch von festen und flüssigen menschlichen Ausscheidungen mischte sich hier mit anderen Düften, und ich hörte die Schreie, das Poltern und Klatschen einer tätlichen Auseinandersetzung in der Nähe, was mich zu der Annahme veranlaßte, daß ich in der richtigen Umgebung war. Irgendwo in der Ferne läutete eine Rettungsglocke, irgendwo in der Nähe hörte ich einen beinahe gelangweilt klingenden Schwall von Flüchen, der zwei Matrosen vorausging, als diese um die nächste Ecke zu meiner Rechten bogen, schwankend und grinsend an mir vorbeitaumelten und gleich darauf mit verebbendem Gejohle ein Lied anstimmten. Ich ging weiter und las das Schild an der Ecke. MEERESWIND-STRASSE stand da.
Das war sie, die Straße, die gemeinhin Totengasse genannt wurde. Ich bog ab. Es war eine Straße wie jede andere. Auf den ersten fünfzig Schritt der Strecke sah ich weder Leichen oder auch nur herumliegende Betrunkene, obwohl ein Mann in einem Eingang mir einen Dolch zu verkaufen versuchte und ein schnauzbärtiger Maklertyp anbot, mich mit etwas Jungem, Knackigem zu verkuppeln. Ich lehnte beides ab und erfuhr vom letzteren, daß ich nicht mehr allzu weit entfernt war vom Blutigen Bill. Ich ging weiter. Gelegentliche Blicke zeigten mir drei dunkelgewandete Gestalten weit hinter mir, die, so vermutete ich, mich möglicherweise verfolgten; ich hatte sie in der Hafenstraße auch schon gesehen. Vielleicht war es aber auch nicht so. In dieser Hinsicht litt ich nicht übermäßig an Verfolgungswahn, sondern kam zu der Ansicht, daß
sie irgend jemand auf dem Weg irgendwohin sein könnten, und beschloß, ihnen keine weitere Beachtung zu schenken. Nichts geschah. Sie blieben unter sich, und als ich endlich den Blutigen Bill ausmachte, setzten sie ihren Weg fort, überquerten die Straße und betraten eine kleine Kneipe ein Stück weiter weg.
Ich wandte mich um und betrachtete das Innere des Blutigen Bill. Die Bar lag zu meiner Rechten, Tische standen zu meiner Linken; am Boden waren verdächtig aussehende Flecken zu sehen. Ein Schild an der Wand wies mich an, meine Bestellung an der Bar aufzugeben und zu sagen, an welchem Tisch ich saß. Der Tagesfang war in Kreide darunter angeschrieben.
Also ging ich hinüber und wartete, wobei ich mehrere Blicke auf mich zog, bis ein kräftig gebauter Mann mit grauen und erstaunlich struppigen Augenbrauen auf mich zukam und nach meinem Begehr fragte. Ich erklärte ihm, daß ich den Blauen Meeresschwanz wollte, und deutete auf einen freien Tisch in der Nähe. Er nickte und schrie meine Bestellung durch ein Loch in der Wand nach hinten und fragte mich dann, ob ich eine Flasche Bayles Pisse dazu wünschte. Ich wollte, er holte sie für mich, dazu ein Glas, entkorkte sie und reichte sie mir. Ich zahlte gleich an Ort und Stelle, ging zu dem Tisch, den ich ausgewählt hatte, und nahm mit dem Rücken zur Wand Platz.
Ölflammen flackerten durch Lampenzylinder in Halterungen, die überall im Raum angebracht waren. Drei Männer - zwei jung, einer mittelalt - spielten an einem Ecktisch im vorderen Teil und ließen eine Flasche kreisen. An dem Tisch zu meiner Linken saß ein alter Mann allein und aß. Eine häßliche Narbe über und unter dem linken Auge entstellte sein Gesicht, und aus der Scheide, die auf dem Stuhl rechts von ihm lag, ragte eine lange, bösartig aussehende Klinge etwa zehn Zentimeter weit heraus. Er saß ebenfalls mit dem Rücken zur Wand. Männer mit Musikinstrumenten ruhten sich an einem anderen Tisch aus, vermutlich in der Pause zwischen den Darbietungen. Ich goß etwas von dem gelben Wein in mein Glas und nippte daran: ein ausgeprägter Geschmack, den ich über viele Jahre im Gedächtnis behalten hatte. Er genügte, um einfach so weggekippt zu werden. Baron Bayle besaß ein großes Weingut etwa fünfzig Kilometer im Osten. Er war der offizielle Weinlieferant des Hofes, und seine roten Weinsorten waren im allgemeinen ausgezeichnet. Bei den weißen war er jedoch weniger erfolgreich, und oft verschleuderte er zweitklassige Ware auf dem einheimischen Markt. Die Etiketten trugen sein Wappen und das Bild eines Hundes - er liebte Hunde -, deshalb nannte man das Zeug manchmal Hundepisse und manchmal Bayles Pisse, je nachdem, mit wem man sprach. Hundefreunde fühlten sich manchmal durch die erstere Bezeichnung beleidigt.
Ungefähr zu der Zeit, als mein Essen gebracht wurde, bemerkte ich, daß zwei junge Männer im
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