Amber-Zyklus 07 - Das Blut von Amber: der Titel
sagen mir, daß ich recht habe.«
»Woher stammen die deinen?« fragte Gail und musterte ihn eindringlich.
»Wir wollen doch sauber und philosophisch bleiben, was?« sagte er.
»Dann sollten wir diesen Begriff vielleicht ganz fallenlassen«, schlug Gail vor, »und uns auf die Pflicht beschränken.«
»Wo ist die Macht abgeblieben?« fragte Julia.
»Sie ist irgendwo da drin«, warf ich ein.
Plötzlich machte Gail ein verdutztes Gesicht, als ob Diskussionen wie diese nicht schon tausendmal in unterschiedlicher Form wiederholt worden wären, sondern als ob sie tatsächlich eine neue Wendung des Denkens hervorgebracht hätte.
»Wenn es sich um zwei verschiedene Dinge handelt«, sagte sie langsam, »welches ist dann das wichtigere?«
»So ist es nicht«, sagte Luke. »Es ist beides dasselbe.«
»Das glaube ich nicht«, widersprach Julia. »Aber Pflichten sind im allgemeinen klar umrissen, und ich habe den Eindruck, daß man sich die Moral selbst aussuchen kann. Wenn ich mich also für das eine oder das andere entscheiden müßte, hielte ich es mit der Moral.«
»Ich mag Dinge, die klar umrissen sind«, sagte Gail.
Luke kippte sein Bier hinunter und rülpste leise. »Mist!« schimpfte er. »Philosophie-Unterricht haben wir erst wieder am Dienstag. Jetzt ist Wochenende. Wer holt die nächste Runde, Merle?«
Ich stützte den linken Ellbogen auf die Tischplatte und öffnete die Hand.
Während wir drückten und sich eine immer stärkere Spannung zwischen uns aufbaute, sagte er mit zusammengekniffenen Zähnen: »Ich hatte recht, nicht wahr?«
»Du hattest recht«, bestätigte ich, kurz bevor ich seinen Arm ganz nach unten drückte.
Macht.
Ich holte meine Post aus dem kleinen verschlossenen Kasten in der Eingangshalle und trug sie hinauf zu meiner Wohnung. Es waren zwei Rechnungen, einige Rundschreiben und etwas Dickes und Nobles ohne Absender.
Ich schloß die Tür hinter mir, schob die Schlüssel ins Etui und ließ meine Aktentasche auf einen in der Nähe stehenden Stuhl fallen. Ich war gerade auf dem Weg zum Sofa, als das Telefon in der Küche klingelte.
Ich warf die Post auf den Couchtisch, drehte mich um und wollte in die Küche gehen. Die Explosion, die hinter mir stattfand, war vielleicht heftig genug, um mich umzuwerfen, vielleicht auch nicht. Ich weiß es nicht, weil ich mich aus eigenem Antrieb zu Boden warf, sobald sie einsetzte. Ich stieß mir den Kopf am Bein des Küchentisches. Dadurch war ich etwas benebelt, aber ansonsten unverletzt. Der ganze Schaden war im anderen Zimmer entstanden. Als ich mich wieder aufgerappelt hatte, hatte das Telefon aufgehört zu läuten.
Ich wußte bereits, daß es viele einfachere Wege gab, um Postwurfsendungen loszuwerden, doch ich fragte mich noch lange Zeit danach, wer da wohl am Telefon gewesen sein mochte.
Manchmal fiel mir wieder der erste aus der Serie der Anschläge ein, bei dem der Lastwagen auf mich zugerast kam. Ich hatte nur einen ganz flüchtigen Blick auf das Gesicht des Fahrers erhascht, bevor ich zur Seite sprang - es war völlig starr und ausdruckslos, als ob er tot, hypnotisiert, unter Drogen oder von irgend etwas besessen sei. Man konnte sich auswählen, welche der genannten Möglichkeiten zutreffen mochte, und vielleicht war es auch mehr als nur eine.
Und dann war da die Nacht mit dem Raubüberfall. Die Männer hatten mich ohne ein Wort angegriffen. Als alles vorüber war und ich davonrannte, hatte ich einmal kurz zurückgeblickt. Ich glaubte damals, eine schemenhafte Gestalt zu sehen, die in einen Eingang zurückwich, weiter die Straße hinauf - eine kluge Vorsichtsmaßnahme, würde ich sagen, in Anbetracht dessen, was vorgefallen war. Aber es hätte natürlich auch jemand sein können, der an dem Überfall beteiligt gewesen war. Ich war hin- und hergerissen. Die Person war zu weit entfernt gewesen, um eine brauchbare Beschreibung von mir liefern zu können. Wenn ich zurückging und derjenige sich als unschuldiger Passant entpuppte, dann gäbe es einen Zeugen, der mich identifizieren könnte. Ich hatte meiner Meinung nach zwar in Notwehr gehandelt, doch es würde allerlei Scherereien geben. Also sagte ich mir: >Zum Teufel damit<, und setzte meinen Weg fort. Ein weiterer interessanter 30. April.
Der Tag mit dem Gewehr. Es waren zwei Schüsse gefallen, während ich die Straße entlanghastete. Sie hatten mich beide verfehlt, bevor ich überhaupt begriff, was los war; Ziegelsteinbrocken waren aus der Mauer des Gebäudes zu meiner Rechten
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