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Ambient 02 - Heidern

Ambient 02 - Heidern

Titel: Ambient 02 - Heidern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Womack
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die Klinik auf, um zu schauen, wie's um Jake steht«, sagte Susie zu ihrem Gatten und stand auf, um zu gehen. »Mußtest du Gus so was zumuten?«
    »Dafür bezahlen wir die Schlümpfe doch.«
     
    Am Nachmittag, in dessen Verlauf ich vermutete, Macaffrey niemals wiederzusehen, gleichzeitig feststellte, daß es mir unmöglich blieb, ihn aus meinem Denken zu verdrängen, schaute ich in Bernards Büro vorbei. Dort saß Bernard zwischen den Überresten seiner Personalität: Einem Foto seiner Frau, einer Bleistiftzeichnung des toten Sohns der beiden, der vor seinem Ableben ein Jahr lang im Koma gelegen hatte, dem Dr.-Goebbels-Preis der Werbewirtschaft, den er als Briefbeschwerer benutzte. Bernard, der früher Millionen eingenommen hatte – alte Millionen –, fristete sein Dasein als Bankrotteur, als er sich bei der Dryco bewarb. Ich besaß noch meinen Schmuck. In der Mitte seines Schreibtischs stak ein messinggelber Kugelschreiber in einem Stiftehalter in der Form der Dealey Plaza.
    »Bestimmt kommen Sie, um sich unsere neue Werbesendung anzugucken«, sagte er, als ich eintrat.
    »So?«
    »Meine Liebe, die Überwachung neuer Projekte erfordert, daß Sie selbst an den ödesten ihrer Sorte Interesse vortäuschen. Und schon fetzen wir voll rein.«
    Als Apparat hatte er an der Wand gegenüber einen Flachfernseher; per Fernbedienung führte er den Reklamespot vor, der weniger abspielte, als daß er quasi querschlägermäßig hin- und herschoß. Innerhalb der ersten zwanzig Sekunden folgte eine Bildsequenz blitzartig der anderen, die Bilder zuckten zu schnell vorbei, sie ließen sich praktisch nicht einzeln unterscheiden, aber sie zeigten zahllose Aspekte der scheußlichsten Vorgänge in unserer Welt; die Musikuntermalung gab das orchestrale Emporschwellen ab, das in A Day in the Life an der Stelle mit der Brücke erklingt. Ehe das Kaleidoskop die Sinne überlasten konnte, wechselten Ton und Bild, die Musik changierte zum Gesang eines kompletten Chors, der die ›Ode an die Freude‹ aus Beethovens Neunter jubilierte; das Geflacker wich makellos weißen, aus Engelsperspektive gesehenen Wolken, Licht durchgleißte das Hellblau der luftigen Höhe, Sonnenstrahlen stachen herab, verliehen der Szenerie etwas Nürnberghaftes. Als sich das Firmenmotto über die Wolken legte, schien es, als käme es aus der Weite des Himmels.
     
    DRYCO
    Nicht sorgen, nicht wundern
     
    »Bedeutet das irgend etwas?« fragte ich, fühlte mich, als wäre in meinen Kopf eine Granate eingeschlagen.
    »Muß man dem Deuter erst eine Bedeutung liefern? Es hat einen maximal sinnverdichteten Kern. Wir haben den Spot für mehrere Preise eingereicht …«
    »Es ist sogar fürs Fernsehen unrealistisch, Bernard.«
    Er entnahm einer Mappe, die auf seinem Tisch lag, eine Anzahl von Zeitungsausschnitten. »Hören Sie mal her, was wir hier haben. Auf dem taco einer Mexikanerin erscheint Elvis, Hunderte pilgern hin, um Heilung zu finden. Eine angeblich von einem Alien geschwängerte Frau verklagt die NASA. In Dartmouth teilt ein Lehrer die Klasse im Fach Politik in Gestapo und Juden auf, um die Grenzen von Macht zu illustrieren, und es gibt drei Tote. Das alles stammt bloß aus der Times der vergangenen Woche. Was ist die zweithäufigste Todesursache unter weißen amerikanischen Teenagern?«
    »Langweile?«
    »Indirekt«, sagte Bernard. »Es ist der autoerotische Erstickungstod.« Männer fanden unerschöpfliche Kräfte, solange sie irrelevante Faktenhuberei betreiben konnten; Bernard hortete mehr Fakten, als ich hätte aufzählen können. Männer kannten eine Methode, um anhand von Fakten keine Wahrheitsfindung zu praktizieren, sondern mit ihnen ihre Einbildung anzuheizen. »Niemand wäre dazu in der Lage, sich so was auszudenken.«
    »Ich möchte mich mit Ihnen unterhalten.«
    »Dienstlich?« fragte er, schaltete das TV-Gerät ab.
    »Zufällig ja.«
    »Wie schade.« Bernard seufzte. »Hängt's mit Thatchers neuem Avatar zusammen? Dadurch ist er doch wenigstens beschäftigt …«
    »Ich habe noch nie jemanden erlebt, der Ihnen so unter die Haut gefahren ist.«
    »Ein halbbackener Jesusverschnitt«, schimpfte Bernard. »Zu dumm zum Lügen.«
    »Sie finden ihn schattig, weil Sie ihn nicht ablachen konnten«, sagte ich. »Das ist ganz offensichtlich.« Bernards Stimmung zeichnete sich durch eine Veränderlichkeit wie das Tropenwetter aus, und als er mich bitterbösen Blicks maß, sorgte ich mich schon, ein taifunartiges Unwetter stünde bevor. Doch es knallte nicht; der

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