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Ambient 02 - Heidern

Ambient 02 - Heidern

Titel: Ambient 02 - Heidern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Womack
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doch mißlang es ihm, den Ansturm zu mäßigen. Susie saß bereits auf ihrer Seite der Tafel, süffelte aus einem Wasserglas und verschnaufte, nachdem sie ihre Aufgabe, die Küchensklaven anzufeuern, wieder für ein Jahr erledigt hatte. Thatcher nahm links neben ihr Platz, am Kopfende des Tischs; auf den Stuhl links von ihm setzte sich sein Junior. Durch die hohen Fenster an der Westseite des Zimmers fiel genügend spätnachmittäglicher Sonnenschein herein, um sämtliche Gäste in goldgelbes Licht zu tauchen.
    »Dieses Jahr kriegt jeder eine Keule«, sagte Thatcher. Ein Quintett Bediensteter hob die Deckel von den Servierplatten und präsentierten das Hauptgericht. Ein paar der jüngeren anwesenden Kinder fingen zu weinen an; alle Erwachsenen, außer Thatcher, überwältigte der Anblick so, daß es ihnen die Sprache verschlug. »Bedanken Sie sich nicht bei mir, sondern bei den Jungs im Perdue-Institut. Jetzt haben wir in der Gentechnik die Führung übernommen. Europa kann einpacken.«
    Jeder nußbraune Kadaver hatte sechs Keulen. Eine Szenerie entrollte sich vor meinem geistigen Auge, eine Szene aus einer Parallelwelt: Winnetou bietet Pilgervater Miles Standish, indem er die Einwanderer an der amerikanischen Küste willkommen heißt, gebackene Riesenspinnen an. Es wird befohlen, die Segel der Mayflower zu hissen, und der frischegrüne Saum des Festlands wird den neuen Pächtern überlassen.
    »Wie laufen sie denn bloß?« fragte Bernard, hob seinen Drink, als wollte er auf die neue Errungenschaft trinken. Falls er hoffte, Alkohol könnte seine Zunge bezähmen, durfte er niemandem außer sich selbst die Schuld geben.
    »Ich glaube nicht, daß sie je den Stall verlassen. Sehe ich etwa wie ein Hühnerficker aus?« Mit der Gabel klirrte Thatcher so heftig gegen seinen Teller, als hätte er vor, ihn entzweizuschlagen. »Es gibt vieles, für das wir, die wir noch leben, dankbar sein müssen. Ich bitte um eine Schweigeminute für alle, die ihr letztes Stück Apfelkuchen bereits gegessen haben.« Wir hatten kaum die Köpfe gesenkt, als er seinen Sermon schon fortsetzte. »Vor ein paar Jahren, das bedarf gar keiner ausführlichen Erwähnung, standen wir alle vor düsteren Aussichten. Schauen Sie sich einmal um und sehen Sie, wie es heute aussieht. In jedem Bereich ist die Geschäftsentwicklung um dreihundert Prozent gestiegen.« Wie immer wurde es als Erfolg verkleidet, überhaupt aus dem Nichts emporgekrochen zu sein. »Die Schweinereien drüben hinterm Fluß sind so gut wie ausgemerzt. Die neue Allianz mit unseren japanischen Freunden, von der Sie alle gehört haben, ist vertraglich geregelt, unterschrieben und in Kraft getreten.«
    Höflichkeitsapplaus der Art, wie man ihn im Kaninchenzüchterverein erleben kann, wenn der Schriftführer aus Altersgründen das Amt abtritt, untermalte seine Darlegungen. Zwei Dutzend Stühle knarrten und knarrten; niemand durfte essen, bevor Thatcher sein Dummgesülze abgesondert hatte.
    »Aber nur weil wir jetzt unsere Zukunft wiedergefunden haben, sollten wir nicht vergessen, wo die Vergangenheit hinter uns gelassen worden ist«, fügte Thatcher hinzu. »Laßt uns der Pilgerväter gedenken, die nach einem besseren Leben trachteten und bei Jonestown an Land gingen …«
    »Jamestown«, rief Susie dazwischen.
    »Plymouth«, berichtigte Bernard Chef und Chefin laut.
    »Wo sie auch an Land gegangen sein mögen, es war ein karges, felsiges Ufer«, versicherte Thatcher, »und sie haben sich, so wie wir es heute halten, mit ihrem vielseitigen Erfindergeist und durch die Nähe ihrer Familien getröstet …«
    »Sprechen Sie für sich, Silberbauer.« Wir mußten nicht erst hinschauen, um zu wissen, wer diese Bemerkung hinrotzte.
    »Was haben sie nach der Landung gemacht?« fragte Avi, griff augenblicklich ein, um die Peinlichkeit zu überspielen; auch das zählte zu den Anforderungen seines Jobs.
    »Sie haben gegessen, weil sie Hunger hatten«, sagte Thatcher, dessen Predigerlaune schwand. »Gütiger Gott, wir danken Dir.« Als erstes schenkte er der Decke des Eßzimmers einen Dankesblick; dann richtete er ihn, um keine Eventualität unbeachtet zu lassen, auf Lester. »Guten Appetit.«
    Inzwischen hatte ich vielleicht gar keinen Appetit mehr; der Puter hätte, nach Beschaffenheit des Fleisches und Geschmack geurteilt, aus geräuchertem Klopapier sein können. Ich lehnte die Keule ab, damit ein anderer doppelt soviel essen durfte.
    »Vielen Dank, daß du dich so ums Essen gekümmert hast,

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